RAMEN Strom und RAMEN Gas: Methodische Neuausrichtung
RAMEN Strom und RAMEN Gas: Methodische Neuausrichtung
Die Transformation des Energiesystems hin zu einer dekarbonisierten und resilienten Versorgung erfordert eine kontinuierliche Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen. Im Zentrum dieser Entwicklung stehen die Netzinfrastrukturen für Strom und Gas, deren Ausbau, Modernisierung und effizienter Betrieb von entscheidender Bedeutung sind. Die deutsche Anreizregulierung, etabliert durch die Anreizregulierungsverordnung (ARegV), hat sich seit ihrer Einführung als zentrales Instrument zur Förderung der Effizienz und Qualität der Strom- und Gasnetze erwiesen. Angesichts der dynamischen Herausforderungen der Energiewende – von der Integration erneuerbarer Energien bis zur Umstellung auf Wasserstofftechnologien im Gasbereich – ist jedoch eine methodische Neuausrichtung unumgänglich geworden. In diesem Kontext hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) mit den Festlegungsverfahren „RAMEN Strom“ (Geschäftszeichen GBK-25-01-11) und „RAMEN Gas“ (Geschäftszeichen GBK-25-01-21) eine umfassende Reform des Regulierungsrahmens für die kommende Regulierungsperiode initiiert [^3], [^4]. Diese Kapitel widmet sich einer detaillierten Betrachtung dieser neuen Methoden und ihrer Implikationen für die Anreizregulierung.
1. Grundlagen der Anreizregulierung und der NEST-Prozess
Die Anreizregulierung zielt darauf ab, Netzbetreiber durch eine Kombination aus Kostenprüfung und Effizienzanreizen zu einem wirtschaftlichen Betrieb und zielgerichteten Investitionen zu motivieren, während gleichzeitig eine hohe Versorgungsqualität gewährleistet wird. Im Gegensatz zur reinen Kostenregulierung, die Anreize für überhöhte Kosten setzen kann, basiert die Anreizregulierung auf einem genehmigten Kostenkorridor und einem Effizienzvergleich, der die Netzbetreiber zu kontinuierlicher Effizienzsteigerung anhält.
Die aktuelle methodische Neuausrichtung ist eingebettet in den sogenannten NEST-Prozess (Neues Entgeltsystem für Strom- und Gasnetze), der eine umfassende Überarbeitung der Netzentgeltsysteme zum Ziel hat [^5], [^6]. Dieser Prozess gliedert sich in drei Ebenen von Festlegungen durch die Bundesnetzagentur:
- Ebene 1: Rahmenfestlegungen – Hierzu zählen RAMEN Strom und RAMEN Gas, die die grundlegenden Prinzipien und den Regulierungsrahmen definieren.
- Ebene 2: Methodenfestlegungen – Diese konkretisieren die Rahmenfestlegungen, beispielsweise durch die Bestimmung von Effizienzvergleichsverfahren oder Investitionsanreizen.
- Ebene 3: Perioden- oder unternehmensbezogene Festlegungen – Diese betreffen die konkrete Anwendung der Methoden auf einzelne Netzbetreiber und Regulierungsperioden.
Die Konsultation zu den Festlegungsentwürfen für den zukünftigen Regulierungsrahmen sowie zu den Strom- und Gas-Netzentgeltfestlegungen wurde im Juni 2025 durch die Bundesnetzagentur gestartet [^1]. Im Oktober 2025 wurden die Entwürfe dann an den Länderausschuss übermittelt, was einen wichtigen Schritt im legislativen Verfahren darstellt [^3].
2. RAMEN Strom: Neuausrichtung der Stromnetzregulierung
Das Festlegungsverfahren RAMEN Strom (Geschäftszeichen GBK-25-01-11) markiert eine signifikante Weiterentwicklung der Regulierungspraxis für Stromverteil- und Übertragungsnetzbetreiber. Es legt einen neuen Regulierungsrahmen und die Methodik für die nächste Regulierungsperiode fest [^4]. Die Notwendigkeit dieser Neuausrichtung ergibt sich aus den massiven Investitionsbedarfen für den Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze, die durch die Integration volatiler erneuerbarer Energien, die zunehmende Elektrifizierung von Sektoren wie Verkehr und Wärme sowie die Digitalisierung der Netzinfrastruktur bedingt sind.
2.1. Kernziele und methodische Ansätze
Die zentralen Ziele von RAMEN Strom umfassen:
- Förderung notwendiger Investitionen: Schaffung von Anreizen für den zügigen und wirtschaftlichen Netzausbau, um die Energiewende zu ermöglichen.
- Sicherstellung der Versorgungssicherheit: Gewährleistung einer hohen Qualität und Zuverlässigkeit der Stromversorgung.
- Effizienzsteigerung: Weiterführung des Effizienzanreizes zur Minimierung der Netzkosten für Verbraucher.
- Flexibilität und Innovation: Berücksichtigung neuer Technologien und Geschäftsmodelle im Netzbetrieb.
Methodisch setzt RAMEN Strom auf eine Weiterentwicklung bewährter Instrumente und die Einführung neuer Elemente. Ein zentraler Aspekt ist die Überarbeitung des Effizienzvergleichs (Weitere Informationen zum Effizienzvergleich). Hierbei werden die Input-Output-Parameter und die Benchmarking-Methodik angepasst, um die tatsächlichen Effizienzpotenziale besser abzubilden und gleichzeitig die spezifischen Herausforderungen von Netzbetreibern in ländlichen oder urbanen Gebieten adäquat zu berücksichtigen. Die Bundesnetzagentur hat bereits Zwischenstände im NEST-Prozess veröffentlicht, die eine erste Indikation über die geplanten Anpassungen geben [^5].
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Kapitalisierung von Investitionen. Die bisherige ARegV sah Mechanismen zur Berücksichtigung von Investitionen vor, doch RAMEN Strom strebt eine noch stärkere Planungs- und Investitionssicherheit an. Dies könnte durch angepasste Eigenkapitalverzinsungssätze, schnellere Anerkennung von Investitionskosten oder die Einführung spezieller Investitionsbudgets für bestimmte Infrastrukturprojekte geschehen. Ziel ist es, die Finanzierung von Großprojekten wie Offshore-Anbindungsleitungen oder großen Übertragungsnetzprojekten zu erleichtern und die Attraktivität für Investoren zu erhöhen.
2.2. Berücksichtigung von Innovation und Digitalisierung
Die Digitalisierung der Stromnetze ist ein entscheidender Faktor für deren Zukunftsfähigkeit. RAMEN Strom soll Anreize für die Implementierung intelligenter Netztechnologien (Smart Grids), Datenanalyse und Automatisierung schaffen. Dies umfasst Investitionen in intelligente Messsysteme, sensorbasierte Netzüberwachung und fortschrittliche Netzleitsysteme. Die methodische Herausforderung besteht darin, die Kosten für solche innovativen, aber oft noch nicht standardisierten Lösungen angemessen in der Regulierung zu berücksichtigen, ohne Fehlanreize zu setzen. Es wird erwartet, dass RAMEN Strom spezifische Regelungen für die Anerkennung von F&E-Kosten und Pilotprojekten vorsehen wird.
3. RAMEN Gas: Anpassungen für die Gasnetze im Wandel
Das Festlegungsverfahren RAMEN Gas (Geschäftszeichen GBK-25-01-21) adressiert die spezifischen Herausforderungen des Gasnetzes, das sich in einem fundamentalen Transformationsprozess befindet [^3]. Angesichts der Klimaziele und der Dekarbonisierungsstrategien wird das Gasnetz künftig eine andere Rolle spielen müssen, insbesondere im Hinblick auf den Transport von grünen Gasen wie Biomethan und Wasserstoff. Die Regulierung muss diesen Wandel antizipieren und begleiten.
3.1. Transformationspfade und Regulierungsanreize
Die Kernziele von RAMEN Gas sind eng mit der Gaswende verknüpft:
- Förderung der Transformation: Schaffung von Anreizen für die Umstellung von Gasnetzen auf Wasserstoff oder andere grüne Gase sowie für den Rückbau nicht mehr benötigter Infrastruktur.
- Sicherstellung der zukünftigen Versorgungssicherheit: Gewährleistung, dass auch in einem dekarbonisierten System eine zuverlässige und flexible Energieversorgung über Gasinfrastrukturen möglich ist.
- Vermeidung von Stranded Assets: Minimierung des Risikos, dass Investitionen in Gasinfrastruktur aufgrund der Energiewende wertlos werden.
- Kosteneffizienz: Sicherstellung, dass die Kosten der Transformation für die Verbraucher tragbar bleiben.
Methodisch wird RAMEN Gas ähnliche Instrumente wie RAMEN Strom nutzen, diese aber spezifisch an die Gegebenheiten des Gasnetzes anpassen. Der Effizienzvergleich (Details zur Gasnetzregulierung) wird die Besonderheiten des Gasnetzes berücksichtigen müssen, insbesondere die unterschiedlichen Netzstrukturen (Hochdruck, Mitteldruck, Niederdruck) und die regional variierende Auslastung in Zeiten des Rückgangs konventionellen Gasverbrauchs.
Ein entscheidender Aspekt ist die Investitionsregulierung für Wasserstoffnetze. Da der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur noch in den Anfängen steckt, müssen hierfür spezifische Anreize geschaffen werden. Dies könnte die Möglichkeit umfassen, Investitionen in Wasserstoffinfrastruktur vorzeitig zu aktivieren oder eine risikoangepasste Verzinsung für derartige Projekte zu ermöglichen. Gleichzeitig wird RAMEN Gas Mechanismen für den gezielten Rückbau oder die Stilllegung von Gasnetzteilen vorsehen müssen, die in Zukunft nicht mehr benötigt werden, um die Kostenbelastung für die verbleibenden Netznutzer zu minimieren.
3.2. Anpassung an die Sektorenkopplung
Die Rolle des Gasnetzes im Rahmen der Sektorenkopplung – beispielsweise durch Power-to-Gas-Anlagen – wird ebenfalls methodisch zu berücksichtigen sein. RAMEN Gas könnte Anreize für die Integration von Speichermöglichkeiten oder für die Nutzung von Gasnetzen zur Aufnahme überschüssigen Stroms aus erneuerbaren Energien schaffen. Die Regulierung muss flexibel genug sein, um diese neuen Funktionen zu ermöglichen und gleichzeitig die Kosten für die Allgemeinheit zu optimieren.
4. Methodische Neuausrichtung und ihre Implikationen
Die Einführung von RAMEN Strom und RAMEN Gas stellt eine tiefgreifende methodische Neuausrichtung der Anreizregulierung dar. Sie geht über punktuelle Anpassungen hinaus und versucht, die Regulierung ganzheitlich auf die Anforderungen einer zukünftigen, klimaneutralen Energieversorgung auszurichten.
4.1. Fokus auf Investitionsanreize und Planbarkeit
Ein wesentliches Merkmal der neuen Methodik ist der verstärkte Fokus auf die Schaffung robuster Investitionsanreize. Die BNetzA reagiert damit auf die Erkenntnis, dass die bloße Effizienzsteigerung nicht ausreicht, um die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen in der erforderlichen Geschwindigkeit umzusetzen. RAMEN Strom und RAMEN Gas versuchen, durch angepasste Kostenanerkennung, Investitionsbudgets und möglicherweise differenzierte Kapitalkosten die Planbarkeit für Netzbetreiber zu erhöhen und somit Investitionsentscheidungen zu beschleunigen. Dies ist besonders relevant für große Projekte mit langen Realisierungszeiten.
4.2. Berücksichtigung der Energiewendeziele
Die neue Regulierung ist explizit auf die Unterstützung der Energiewendeziele ausgerichtet. Dies bedeutet, dass nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Beiträge zu Klimaschutz und Versorgungssicherheit stärker in die Bewertung einfließen. Für Stromnetze bedeutet dies die Förderung von Technologien zur Integration erneuerbarer Energien; für Gasnetze bedeutet es die Begleitung des Übergangs zu dekarbonisierten Gasen. Diese Zielorientierung erfordert möglicherweise auch die Entwicklung neuer Qualitäts- und Effizienzindikatoren, die den spezifischen Anforderungen der Energiewende gerecht werden.
4.3. Auswirkungen auf Netzbetreiber und Verbraucher
Für Netzbetreiber bedeuten RAMEN Strom und RAMEN Gas sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Die neuen Methoden erfordern eine Anpassung der internen Prozesse und Investitionsstrategien. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit, die notwendigen Investitionen in die Zukunft der Netze unter stabileren und planbareren Rahmenbedingungen zu tätigen. Die erhöhte Planbarkeit kann zu einer Reduzierung des Kapitalkostenrisikos führen, was sich positiv auf die Finanzierung von Projekten auswirken kann.
Für Verbraucher sind die Auswirkungen ambivalent. Einerseits können die notwendigen Investitionen kurz- bis mittelfristig zu steigenden Netzentgelten führen, da die Kosten für den Um- und Ausbau der Infrastruktur refinanziert werden müssen. Die Bundesnetzagentur hat jedoch stets betont, dass die Kostenentwicklung transparent und nachvollziehbar gestaltet werden soll [^1]. Andererseits sichern die Investitionen eine zuverlässige und zukunftsfähige Energieversorgung, die langfristig volkswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt und die Grundlage für eine klimaneutrale Wirtschaft bildet. Die Effizienzanreize sollen weiterhin dazu beitragen, unnötige Kosten zu vermeiden.
5. Konsultation und weitere Schritte
Die Festlegungsentwürfe zu RAMEN Strom und RAMEN Gas wurden im Rahmen des NEST-Prozesses umfassend konsultiert. Die Bundesnetzagentur hat im Juni 2025 die Konsultationen zu den Festlegungsverfahren zum zukünftigen Regulierungsrahmen gestartet [^1]. Im Oktober 2025 wurden die Festlegungsentwürfe an den Länderausschuss übermittelt, was den Beginn einer weiteren Phase der Abstimmung und Rückmeldung markiert [^3].
Die Konsultationsphase ist von entscheidender Bedeutung, da sie es den betroffenen Akteuren – Netzbetreibern, Verbänden, Verbraucherschützern und anderen Stakeholdern – ermöglicht, ihre Perspektiven und Expertise einzubringen. Die Bundesnetzagentur wird die eingegangenen Stellungnahmen sorgfältig prüfen und gegebenenfalls Anpassungen an den Entwürfen vornehmen, bevor die finalen Festlegungen getroffen werden. Der Prozess ist darauf ausgelegt, einen möglichst breiten Konsens zu erzielen und eine praxistaugliche sowie zukunftsfähige Regulierung zu gewährleisten.
Nach Abschluss der Konsultationsphase und der Berücksichtigung der Rückmeldungen werden die finalen Festlegungen durch die Bundesnetzagentur getroffen. Diese Festlegungen bilden dann die verbindliche Grundlage für die nächste Regulierungsperiode und die konkrete Anwendung der Anreizregulierung in den Strom- und Gasnetzen.
6. Fazit und Ausblick
RAMEN Strom und RAMEN Gas stellen eine entscheidende methodische Neuausrichtung der deutschen Anreizregulierung dar. Sie sind die Antwort auf die tiefgreifenden Veränderungen, die die Energiewende mit sich bringt, und zielen darauf ab, die Netzinfrastrukturen fit für eine dekarbonisierte Zukunft zu machen. Die neuen Methoden versuchen, einen Balanceakt zwischen der Förderung notwendiger Investitionen, der Sicherstellung der Versorgungssicherheit und der Wahrung der Kosteneffizienz zu vollziehen.
Die transparente und partizipative Gestaltung des NEST-Prozesses, einschließlich der umfassenden Konsultationen, ist entscheidend für die Akzeptanz und den Erfolg der neuen Regulierung. Die Implementierung von RAMEN Strom und RAMEN Gas wird maßgeblich darüber entscheiden, wie schnell und effizient Deutschland seine Energie- und Klimaziele erreichen kann. Die konsequente Weiterentwicklung der Anreizregulierung ist somit nicht nur eine technische, sondern eine strategische Notwendigkeit für die Energieversorgung von morgen.
Quellenverzeichnis
[^1]: Bundesnetzagentur. (2025). Konsultationen zu Festlegungsentwürfen zum zukünftigen Regulierungsrahmen sowie zu den Strom- und Gas-Netzentgeltfestlegungen starten. (Pressemitteilung vom 18.06.2025). Die Bundesnetzagentur hat Konsultationen zu den Festlegungsverfahren zum Regulierungsrahmen sowie zu den Strom- und Gas-Netzentgeltfestlegungen gestartet. [^3]: Bundesnetzagentur. (2025). Aktuelles der Großen Beschlusskammer Energie. (Mitteilung vom 30.10.2025). Am 30.10.2025 hat die Bundesnetzagentur die Festlegungsentwürfe RAMEN Strom [GBK-25-01-11], RAMEN Gas [GBK-25-01-21], StromNEF sowie GasNEF an den Länderausschuss übermittelt. [^4]: Bundesnetzagentur. (2025). Verfahrensübersicht der Großen Beschlusskammer Energie. (Stand: 18.11.2025). Auflistung der Verfahren, darunter Festlegungsverfahren RAMEN Strom [GBK-25-01-11] zur Festlegung eines Regulierungsrahmens und der Methodik. [^5]: Bundesnetzagentur. (2025). Zwischenstand des NEST Prozesses zum Sommer 2025. (Veröffentlichung vom 16.01.2025). Die Große Beschlusskammer Energie hat Zwischenstände zu den Festlegungsverfahren im Kontext des NEST-Prozesses veröffentlicht. [^6]: Bundesnetzagentur. (2025). Große Beschlusskammer Energie. (Stand: 18.11.2025). Übersicht über die Arbeit der GBK, den NEST-Prozess und die Struktur der Festlegungen (Ebene 1: Rahmenfestlegungen, Ebene 2: Methodenfestlegungen, Ebene 3: unternehmensbezogene Festlegungen).