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Standardisierung: VDE SPEC 90032 und Niederspannung

Standardisierung: VDE SPEC 90032 und Niederspannung

Die Transformation des deutschen Energiesystems von einer zentralisierten Erzeugungsstruktur hin zu einem dezentralen, durch volatile erneuerbare Energien geprägten System stellt die Verteilnetzbetreiber (VNB) vor immense Herausforderungen. Insbesondere die Niederspannungsebene, traditionell als "Black Box" mit geringer Messdichte betrachtet, rückt durch die massive Integration von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge (Wallboxen) in den Fokus des Netzengpassmanagements. In diesem Kontext definiert die VDE SPEC 90032 einen entscheidenden technischen Rahmen für den datentechnischen Austausch und die Steuerbarkeit von Anlagen, speziell im Segment der Kleinanlagen unter 100 kW installierter Leistung.

Die Notwendigkeit der Standardisierung im Redispatch 3.0

Mit der Einführung des Redispatch 2.0 wurden Anlagen ab 100 kW sowie steuerbare Anlagen in der Mittelspannung in den znetzzustandsorientierten Regelungsprozess einbezogen. Die nächste Evolutionsstufe, häufig als Redispatch 3.0 bezeichnet, adressiert die Integration der breiten Masse an dezentralen Kleinstanlagen in der Niederspannung. Die schiere Anzahl dieser Aktoren – prognostiziert im zweistelligen Millionenbereich – verbietet manuelle Eingriffe oder individuelle Schnittstellenlösungen.

Forschungsprojekte wie RD3.0 untersuchen hierbei, wie durch den Einsatz von verteilter künstlicher Intelligenz und standardisierten Systemen eine effiziente Koordinierung dieser Flexibilitäten gelingen kann[^1]. Ohne eine rigorose Standardisierung der Datenformate und Kommunikationswege würde die kleinteilige Steuerung zu einer unbewältigbaren Komplexität für die Leitwarten führen. Die VDE SPEC 90032 fungiert hierbei als Bindeglied zwischen den netzseitigen Anforderungen und der anlagenseitigen Umsetzung.

Technische Architektur der VDE SPEC 90032

Die VDE SPEC 90032 (in ihren verschiedenen Ausprägungen und Weiterentwicklungen durch das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE) spezifiziert die Schnittstelle zwischen dem Netzbetreiber und der Kundenanlage. Zentrales Element dieser Architektur ist das Intelligente Messsystem (iMSys), welches als sicherer Kommunikationsanker dient.

Die Rolle des Smart Meter Gateways (SMGW)

Das Smart Meter Gateway (SMGW) bildet die hoheitliche Kommunikationsschnittstelle. Gemäß den Vorgaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gewährleistet es Vertraulichkeit und Integrität der Daten. Die VDE SPEC 90032 baut auf dieser Infrastruktur auf, indem sie definiert, wie Steuerbefehle vom VNB über den CLS-Kanal (Controllable Local System) des SMGW an eine Steuerbox oder ein Energiemanagementsystem (EMS) übertragen werden.

Der Smart Meter Rollout ist somit die fundamentale Voraussetzung für die operative Umsetzung der VDE SPEC 90032. Die Funktionalitäten der intelligenten Messsysteme, insbesondere die Übermittlung von Echtzeitdaten und Steuersignalen, bilden den "zentralen Baustein für ein klimaneutrales Energiesystem"[^2]. Die VDE SPEC konkretisiert hierbei die "letzte Meile" der Kommunikation hinter dem Gateway.

Datenmodelle und Austauschformate

Ein Kernaspekt der Spezifikation ist die Festlegung interoperabler Datenformate. Während im Übertragungsnetzbereich Protokolle wie IEC 60870-5-104 oder IEC 61850 dominieren, erfordert die Massendatenverarbeitung in der Niederspannung effizientere, oft web-basierte Ansätze oder schlanke Binärprotokolle, die über die CLS-Schnittstelle getunnelt werden können.

Die VDE SPEC 90032 favorisiert Strukturen, die eine klare Trennung zwischen dem Netzzustand (Grid Operator Sicht) und der Anlagenflexibilität (Prosumer Sicht) ermöglichen. Technisch werden hierbei oft Befehle in diskreten Stufen (z.B. 100%, 60%, 30%, 0% Wirkleistungsbegrenzung gemäß § 14a EnWG) oder stufenlose Vorgaben definiert.

Das Datenmodell muss dabei zwei Richtungen bedienen:

Integration von Anlagen < 100 kW

Die besondere Herausforderung bei Anlagen unter 100 kW liegt in der wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeit. Während bei Großkraftwerken aufwändige Fernwirktechnik installiert werden kann, muss die Lösung für eine private PV-Anlage oder Wallbox kosteneffizient sein.

Die VDE SPEC 90032 adressiert dies durch die Standardisierung der FNN-Steuerbox und deren Interaktion mit dem Heim-Energiemanagementsystem (HEMS). Anstatt jede Anlage einzeln anzusteuern, sendet der VNB ein Signal an den Netzanschlusspunkt. Das HEMS, welches über digitale Schnittstellen (z.B. EEBUS, SunSpec Modbus) mit den Geräten kommuniziert, übernimmt die lokale Optimierung.

Ein Beispielablauf gemäß Standardisierung:

  1. Der VNB detektiert einen lokalen Engpass im Niederspannungsstrang (z.B. Überlastung des Ortsnetztransformators).
  2. Ein Dimm-Befehl wird via SMGW an die CLS-Schnittstelle der betroffenen Haushalte gesendet.
  3. Das HEMS empfängt den Befehl (z.B. "Maximale Bezugsleistung 4,2 kW").
  4. Das HEMS drosselt die Wallbox und die Wärmepumpe dynamisch, um den Grenzwert einzuhalten, ohne den Komfort mehr als nötig einzuschränken.

Dieser Prozess erfordert eine hohe Interoperabilität, die nur durch die Einhaltung der in der VDE SPEC definierten Protokolle gewährleistet werden kann.

Herausforderungen bei der Implementierung

Trotz der technischen Definition durch die VDE SPEC 90032 und flankierende Normen bleiben in der Praxis Hürden bestehen. Die Heterogenität der Bestandsanlagen ("Brownfield") erfordert Retrofit-Lösungen. Zudem ist die Datenqualität im Niederspannungsnetz oft unzureichend. Forschungsprojekte wie RD3.0 adressieren diese Lücken durch Feldtests und die Entwicklung von Methoden zur Datenintegration und -verarbeitung, um einen vertrauenswürdigen Systembetrieb zu gewährleisten[^1].

Ein weiterer Aspekt ist die Latenzzeit. Für effektive Netzstabilisierung müssen Steuerbefehle in deterministischer Zeit umgesetzt werden. Die gesamte Wirkkette – vom Leitsystem des VNB über die Admin-Cloud des Gateway-Administrators, durch das SMGW bis zur Endgerätesteuerung – muss robust gegenüber Paketverlusten und Verzögerungen ausgelegt sein.

Fazit und Ausblick

Die VDE SPEC 90032 stellt einen unverzichtbaren Baustein für die Digitalisierung der Energiewende dar. Sie transformiert die vagen Anforderungen des § 14a EnWG und des Redispatch 2.0/3.0 in technische Spezifikationen, die Hardwarehersteller und Softwareentwickler implementieren können.

Die Integration der Niederspannungsebene in das aktive Netzmanagement ist ohne diese Standardisierung nicht denkbar. Zukünftige Entwicklungen werden sich verstärkt auf die Automatisierung dieser Prozesse konzentrieren, wobei KI-basierte Ansätze zur Prognose von Engpässen und zur Optimierung von Flexibilitäten eine zentrale Rolle spielen werden. Der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie schnell der Smart Meter Rollout voranschreitet und wie konsequent die Standards von allen Marktteilnehmern umgesetzt werden[^2]. Das Ziel ist ein "Smart Grid", das nicht nur reagiert, sondern proaktiv und automatisiert die Stabilität der Versorgung gewährleistet. Die VDE SPEC 90032 liefert hierfür die Syntax und Grammatik der notwendigen Kommunikation.

Quellenverzeichnis

[^1]: OFFIS - Institut für Informatik. (2025). RD3.0 - Redispatch 3.0. (Projektbeschreibung). Forschungsprojekt zu Distributed Artificial Intelligence, Datenintegration und vertrauenswürdigem Systembetrieb im Kontext von Redispatch und Smart Grids.

[^2]: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE). (2025). Smart Meter Rollout in Deutschland und Europa. (Online-Veröffentlichung). Analyse der Funktionalitäten intelligenter Messsysteme und deren Rolle als zentraler Baustein für ein klimaneutrales Energiesystem.

[^3]: VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (2021). VDE SPEC 90032: Modularer Aufbau der Steuerbox. (Spezifikation). Technische Richtlinie zur Ausgestaltung der Schnittstellen und Funktionen von Steuerboxen im intelligenten Messsystem.