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Technische Mindestanforderungen und Steuerungskonzepte

Technische Mindestanforderungen und Steuerungskonzepte

Die Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen (SteuVE) in das Niederspannungsnetz stellt einen Paradigmenwechsel in der Netzführung dar. Während traditionell die Erzeugungsseite (z. B. PV-Anlagen) im Fokus des Einspeisemanagements stand, erfordert die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors nun ein aktives Lastmanagement. Dieses Kapitel widmet sich der detaillierten technischen Umsetzung der Leistungsreduzierung („Dimmung“) gemäß § 14a EnWG, den spezifischen Anforderungen an die Steuerboxen sowie den verschiedenen Steuerungskonzepten, die im Rahmen der intelligenten Messsysteme (iMSys) zur Anwendung kommen.

1. Die Architektur des intelligenten Netzmanagements

Die technische Basis für die netzdienliche Steuerung bildet die sichere Kommunikationsinfrastruktur des Smart Meter Gateways (SMGW). Die Anforderungen an diese Infrastruktur sind durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie durch VDE FNN-Spezifikationen definiert. Ziel ist es, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Integrität der Steuerbefehle vom Verteilnetzbetreiber (VNB) bis zur steuerbaren Einrichtung zu gewährleisten.

1.1 Die Rolle der FNN-Steuerbox

Ein zentrales Element der Steuerungsinfrastruktur ist die sogenannte Steuerbox. Sie fungiert als Bindeglied zwischen dem SMGW und der technischen Anlage im Haushalt. Die Steuerbox wird über die CLS-Schnittstelle (Controllable Local System) an das SMGW angebunden.

Die technischen Mindestanforderungen an die Steuerbox umfassen:

  1. Kommunikationsanbindung: Die Box muss über eine LMN-Schnittstelle (Local Metrological Network) oder eine Ethernet-Schnittstelle verfügen, um sicher mit dem SMGW zu kommunizieren. Dabei werden TLS-verschlüsselte Kanäle genutzt, um Manipulationen auszuschließen [^1].
  2. Schalt- und Steuerfähigkeit: Die Steuerbox muss in der Lage sein, sowohl digitale Steuersignale (z. B. über Protokolle wie EEBUS) als auch physische Relaisschaltungen (potentialfreie Kontakte) bereitzustellen. Dies ist notwendig, um sowohl moderne, digital ansteuerbare Wallboxen oder Wärmepumpen als auch Bestandsanlagen, die oft nur über einen SG-Ready-Eingang verfügen, bedienen zu können.
  3. Latenz und Verfügbarkeit: Für effektive netzstabilisierende Maßnahmen („Grid Services“) sind definierte Latenzzeiten einzuhalten. Die Übermittlung eines Dimm-Befehls vom Backend des VNB bis zur Ausführung an der SteuVE muss innerhalb definierter Zeitfenster erfolgen, um kritische Netzzustände rechtzeitig abzuwenden.

1.2 Anbindung an das Smart Meter Gateway

Die Kopplung erfolgt logisch über den CLS-Kanal. Hierbei agiert das SMGW als transparenter Tunnel oder als Proxy, der die Befehle des externen Marktteilnehmers (in diesem Fall des VNB) an die Steuerbox weiterleitet. Die BSI-Vorgaben stellen sicher, dass nur authentifizierte Akteure Zugriff auf die Steuerbox erhalten [^1]. Diese Architektur trennt strikt zwischen der hoheitlichen Messaufgabe und den marktorientierten oder netzdienlichen Schaltvorgängen.

Für weiterführende Informationen zur Sicherheitsarchitektur siehe Sicherheitsarchitektur und BSI-Vorgaben.

2. Umsetzung der Leistungsreduzierung (Dimmung)

Im Gegensatz zur früheren harten Abschaltung (Sperrung) von Verbrauchern, zielt die moderne Regulierung auf eine temporäre Leistungsreduzierung ab. Dies wird als „Dimmen“ bezeichnet und dient dem Erhalt des Komforts beim Endkunden bei gleichzeitiger Netzentlastung.

2.1 Stufenweise vs. Kontinuierliche Steuerung

Technisch lassen sich zwei Hauptverfahren der Dimmung unterscheiden:

  • Diskrete Stufensteuerung: Hierbei werden vordefinierte Leistungsstufen (z. B. 0 %, 30 %, 60 %, 100 %) über Relaiskombinationen oder digitale Register abgebildet. Dieses Verfahren ist robust und mit einfacherer Hardware (Relaisboxen) umsetzbar, bietet jedoch nur eine grobe Granularität [^2].
  • Kontinuierliche Steuerung (Digital): Über digitale Schnittstellen kann eine prozentuale oder absolute Leistungsreduzierung (z. B. auf maximal 4,2 kW) exakt vorgegeben werden. Dies erfordert eine bidirektionale Kommunikation zwischen Steuerbox und Endgerät bzw. Energiemanagementsystem (EMS).

Die Bundesnetzagentur fordert für die Umsetzung des § 14a EnWG eine Mindestleistung, die dem Kunden auch im Dimm-Fall zur Verfügung stehen muss (aktuell 4,2 kW). Die technische Umsetzung muss garantieren, dass diese Untergrenze nicht unterschritten wird, es sei denn, es liegt eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit des Netzes vor [^3].

2.2 Fallback-Mechanismen

Ein kritischer Aspekt der technischen Anforderungen ist das Verhalten bei Kommunikationsausfall. Sollte die Verbindung zwischen VNB-Backend und Steuerbox unterbrochen sein, muss die Anlage in einen definierten sicheren Zustand übergehen. In der Regel bedeutet dies, dass keine Restriktionen angewendet werden (Fail-Safe zu 100 % Leistung), sofern keine lokalen Netzschutzmechanismen greifen. Neuere Konzepte diskutieren jedoch auch autonome Dimm-Kurven basierend auf lokalen Spannungsmessungen, falls die zentrale Steuerung ausfällt [^6].

3. Steuerungskonzepte in der Niederspannung

Die praktische Anbindung der steuerbaren Verbrauchseinrichtungen kann topologisch auf zwei Arten erfolgen: die Direktsteuerung und die Steuerung über ein Energiemanagementsystem (EMS).

3.1 Direktsteuerung (Komponentenansatz)

Bei der Direktsteuerung wird jede steuerbare Verbrauchseinrichtung (z. B. Wallbox, Wärmepumpe) einzeln an die Steuerbox angeschlossen.

  • Vorteile: Einfache Nachvollziehbarkeit, geringere Komplexität der Software-Logik im Haushalt.
  • Nachteile: Hoher Verkabelungsaufwand, da zu jedem Gerät eine Steuerleitung gelegt werden muss. Zudem fehlt die Möglichkeit, die verfügbare Leistung (z. B. die 4,2 kW im Dimm-Fall) intelligent aufzuteilen. Wenn zwei Geräte gleichzeitig gedimmt werden, steht jedem nur ein Bruchteil der Leistung zur Verfügung.

Die technischen Anforderungen an die Schnittstellen bei der Direktsteuerung sind in den Technischen Anschlussregeln (VDE-AR-N 4100) spezifiziert. Häufig kommen hierbei potentialfreie Kontakte zum Einsatz, die direkt in den Steuereingang des Gerätes (z. B. „EVU-Sperre“ oder SG-Ready) eingreifen [^4].

3.2 Steuerung über ein Energiemanagementsystem (EMS)

Das bevorzugte Konzept für moderne Installationen ist der Einsatz eines Home Energy Management Systems (HEMS). Hierbei ist nur das HEMS mit der Steuerbox (oder direkt digital über das SMGW/CLS) verbunden. Das HEMS empfängt das Leistungslimit vom Netzbetreiber am Netzanschlusspunkt und verteilt die verfügbare Leistung dynamisch auf die aktiven Verbraucher.

  • Technische Umsetzung: Das HEMS muss in Echtzeit den Gesamtverbrauch am Netzanschlusspunkt messen und die SteuVE so regeln, dass der vorgegebene Grenzwert nicht überschritten wird.
  • Vorteile: Maximale Flexibilität für den Kunden. Beispielsweise kann die Wallbox gedrosselt werden, während die Wärmepumpe weiterläuft. Zudem kann eigene PV-Erzeugung zur Kompensation genutzt werden („Eigenverbrauchsoptimierung im Dimm-Fall“).
  • Anforderungen: Das HEMS muss zertifizierte Schnittstellenprotokolle unterstützen und eine hohe Ausfallsicherheit bieten.

Detaillierte Informationen zu HEMS-Algorithmen finden sich unter Algorithmen für Energiemanagementsysteme.

4. Standardisierung der Kommunikationsprotokolle

Damit die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Komponenten (VNB-Backend, SMGW, Steuerbox, EMS, Endgeräte) gewährleistet ist, sind standardisierte Protokolle unerlässlich. Proprietäre Lösungen sind angesichts der Langlebigkeit der Infrastruktur (20+ Jahre) nicht zielführend.

4.1 EEBUS

Der EEBUS-Standard hat sich als führendes Protokoll für die Kommunikation innerhalb der Kundenanlage (Hinter dem Zähler) etabliert. Speziell die Use Cases für die Leistungsbegrenzung (LPC – Limitation of Power Consumption) sind hier definiert. EEBUS ermöglicht eine semantische Beschreibung der Gerätefähigkeiten, sodass das EMS oder die Steuerbox nicht nur „An/Aus“ befehlen, sondern komplexe Fahrpläne und Präferenzen aushandeln kann [^5].

4.2 IEC 61850 und Modbus

Während IEC 61850 vorwiegend in der Leittechnik und Umspannwerken dominiert, findet es über Adapter zunehmend den Weg in die CLS-Management-Ebene. Auf der Feldebene (Geräteanschluss) ist Modbus TCP/RTU nach wie vor weit verbreitet, insbesondere bei Wechselrichtern und Wallboxen (SunSpec Alliance). Die Steuerboxen müssen daher häufig als Protokollwandler fungieren oder das EMS übernimmt diese Aufgabe der Übersetzung [^2].

5. Herausforderungen bei der Integration in Bestandsanlagen

Die technischen Mindestanforderungen treffen in der Praxis oft auf heterogene Bestandsinstallationen. Ältere Zählerschränke bieten häufig keinen Raum für den Einbau von Zusatzgeräten wie der Steuerbox oder dem SMGW, geschweige denn für den erforderlichen Abschlusspunkt Zählerplatz (APZ).

5.1 Nachrüstpflichten und Platzbedarf

Gemäß VDE-AR-N 4100 ist bei wesentlichen Änderungen der elektrischen Anlage der Zählerplatz auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen. Dies beinhaltet die Vorhaltung des APZ-Feldes für die Kommunikationstechnik. Für reine Bestandsanlagen ohne wesentliche Änderung, die dennoch § 14a-pflichtig werden (durch Zubau einer Wallbox), werden teils „Huckepack“-Lösungen oder Aufputz-Verteiler für die Steuertechnik notwendig. Die Anforderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und die Trennung von Energiekreis und Datenkreis müssen dabei strikt eingehalten werden [^4].

5.2 Messkonzepte

Die korrekte Zuordnung der Energiemengen ist technisch anspruchsvoll, insbesondere wenn getrennte Tarife für steuerbare Verbraucher (Heizstrom, Mobilstrom) genutzt werden (Messkonzept 2 oder Kaskadenmessung). Die Steuerbox muss logisch dem korrekten Zählpunkt zugeordnet sein. In modernen iMSys-Umgebungen erfolgt dies über die Konfiguration im SMGW, welche die Steuerbox als CLS-Gerät einem bestimmten Mandanten zuweist [^1].

6. Fazit und Ausblick

Die technischen Mindestanforderungen an Steuerboxen und die Umsetzung der Leistungsreduzierung sind komplex und erfordern ein Zusammenspiel aus Hardware-Zertifizierung, standardisierten Protokollen und sicherer IT-Infrastruktur. Die Abkehr von der harten Abschaltung hin zum intelligenten Dimmen erfordert leistungsfähige lokale Energiemanagementsysteme und eine hochverfügbare Kommunikationsstrecke. Die Branche bewegt sich derzeit von proprietären Insellösungen hin zu einem interoperablen Ökosystem auf Basis von EEBUS und BSI-zertifizierten Smart Meter Gateways. Zukünftige Entwicklungen werden eine noch stärkere Integration von dynamischen Tarifen und netzdienlichem Flexibilitätsmarkt direkt in die Steuerlogik der Boxen sehen [^6].

Quellenverzeichnis

[^1]: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). (2023). Technische Richtlinie BSI TR-03109-1: Anforderungen an das Smart Meter Gateway. (Version 1.1). Spezifikation der Sicherheitsanforderungen und der Kommunikationsarchitektur für intelligente Messsysteme in Deutschland.

[^2]: VDE FNN. (2022). Impuls: FNN-Steuerbox für das intelligente Messsystem. (Hinweis). Beschreibung der funktionalen Anforderungen an die Steuerbox zur Umsetzung von Schalt- und Steuerhandlungen im Niederspannungsnetz.

[^3]: Bundesnetzagentur. (2023). Festlegung zur Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und steuerbaren Netzanschlüssen nach § 14a EnWG. (BK6-22-300). Rechtlicher Rahmen und technische Parameter für die netzorientierte Steuerung und Dimmung von Lasten.

[^4]: VDE. (2019). VDE-AR-N 4100: Technische Regeln für den Anschluss von Kundenanlagen an das Niederspannungsnetz und deren Betrieb (TAR Niederspannung). (Anwendungsregel). Definition der technischen Mindestanforderungen an Zählerplätze und die Anbindung von Ladeeinrichtungen und Wärmepumpen.

[^5]: Initiative EEBUS e.V. (2024). EEBUS Spezifikation - Use Case Limitation of Power Consumption (LPC). (Version 1.0). Technische Dokumentation des Kommunikationsstandards zur digitalen Leistungsbegrenzung zwischen Netzbetreiber und HEMS.

[^6]: Müller, S., & Agentur für Erneuerbare Energien. (2024). Dezentrale Flexibilität im Verteilnetz: Steuerungsalgorithmen und Netzstabilität. (Forschungsbericht 4/24). Analyse der Auswirkungen verschiedener Dimm-Strategien auf die Spannungsqualität in ländlichen Niederspannungsnetzen.