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Netzdienliche Steuerung: Beitrag zur Netzstabilität

Netzdienliche Steuerung: Beitrag zur Netzstabilität

Die Transformation des Energiesystems hin zu einer dezentralen und überwiegend auf erneuerbaren Energien basierenden Versorgung stellt das Stromnetz vor fundamentale Herausforderungen. Die volatile Einspeisung aus Wind- und Solaranlagen sowie die zunehmende Elektrifizierung von Sektoren wie Mobilität und Wärme erfordern eine flexible und intelligente Steuerung des Gesamtsystems. In diesem Kontext nimmt die netzdienliche Steuerung eine zentrale Rolle ein, um die Netzstabilität zu gewährleisten und Engpässen entgegenzuwirken. Sie bildet das Rückgrat einer resilienten und effizienten Energieinfrastruktur der Zukunft, indem sie Erzeugung und Verbrauch aktiv an die aktuellen Netzbedingungen anpasst.

Grundlagen der Netzstabilität im Wandel

Netzstabilität ist ein multidimensionales Konzept, das die Fähigkeit eines Stromnetzes beschreibt, seinen Betriebszustand nach Störungen wiederherzustellen oder beizubehalten, insbesondere hinsichtlich der Frequenz- und Spannungshaltung. Traditionell wurde Netzstabilität primär durch große, zentralisierte Kraftwerke gesichert, die über rotierende Massen und schnelle Regelungsmechanismen verfügten. Diese konventionellen Kraftwerke stellten die notwendige Systemträgheit und Blindleistung zur Verfügung, um Frequenz- und Spannungsschwankungen auszugleichen.

Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien ändert sich dieses Paradigma grundlegend. Photovoltaik- und Windkraftanlagen speisen über Umrichter ein und tragen nicht direkt zur Systemträgheit bei. Die fluktuierende Natur dieser Energiequellen führt zudem zu einer erhöhten Variabilität in der Einspeisung, die das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch dynamischer macht. Eine stabile Frequenz von 50 Hz ist jedoch essenziell für den synchronen Betrieb aller Komponenten und die Vermeidung von Schäden an Geräten. Gleiches gilt für die Aufrechterhaltung der Spannung in zulässigen Grenzen, um die Übertragungs- und Verteilungsfähigkeit des Netzes zu gewährleisten. Die netzdienliche Steuerung zielt darauf ab, diese dynamischen Gleichgewichte aktiv zu managen und die Versorgungssicherheit trotz der wachsenden Komplexität und Dezentralisierung zu gewährleisten [^1].

Die Rolle der Netzdienlichen Steuerung

Die netzdienliche Steuerung umfasst alle Maßnahmen und Mechanismen, die darauf abzielen, das Verhalten von Erzeugungsanlagen, Verbrauchern und Speichern so zu beeinflussen, dass es den aktuellen Bedürfnissen des Stromnetzes entspricht. Ihr Hauptziel ist es, die Auslastung des Netzes zu optimieren, Engpässe zu vermeiden und die Systemstabilität zu sichern. Dies geschieht durch die Bereitstellung von Flexibilität auf der Nachfrage- und Angebotsseite.

Mechanismen und Instrumente

Zentrale Instrumente der netzdienlichen Steuerung sind die Beeinflussung sogenannter steuerbarer Verbrauchseinrichtungen und, in zunehmendem Maße, auch steuerbarer Erzeugungseinrichtungen sowie Speichersysteme. Steuerbare Verbrauchseinrichtungen sind Anlagen, die ihren Strombezug anpassen können, ohne wesentliche Komforteinbußen für den Nutzer zu verursachen. Hierzu zählen beispielsweise Wärmepumpen, elektrische Fahrzeuge (E-Autos) und deren Ladestationen sowie bestimmte Haushaltsgeräte oder industrielle Prozesse.

Ein wesentlicher rechtlicher Rahmen für die Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen ist die Neuregelung des § 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) durch die Bundesnetzagentur [^1], [^2]. Diese Regelung ermöglicht es Netzbetreibern, den Strombezug bestimmter steuerbarer Verbrauchseinrichtungen bei drohenden Netzengpässen vorübergehend zu reduzieren. Im Gegenzug für diese Steuerbarkeit können Anlagenbetreibende von reduzierten Netzentgelten profitieren [^3]. Die Bundesnetzagentur hat diese Ausgestaltung eingeführt, um die Netzstabilität auch in Zukunft sicherzustellen und die Betreiber von solchen Anlagen zu incentivieren, einen Beitrag zur Systemstabilität zu leisten [^1], [^2].

Die technische Umsetzung erfolgt über intelligente Messsysteme und Kommunikationsinfrastrukturen, die eine Fernsteuerung oder die Übermittlung von Preissignalen ermöglichen. Moderne Smart Grids und digitale Plattformen sind hierbei essenziell, um die Vielzahl dezentraler Anlagen effizient zu koordinieren. Die Steuerung kann dabei in verschiedenen Abstufungen erfolgen: von einer einfachen zeitlichen Verschiebung des Verbrauchs (Lastverschiebung) über die Reduktion der Leistungsaufnahme bis hin zur vollständigen Abschaltung bei kritischen Netzsituationen.

Vorteile für Netzbetreiber und Anlagenbetreibende

Für die Netzbetreiber bietet die netzdienliche Steuerung die Möglichkeit, das bestehende Netz effizienter zu nutzen und teure Netzausbauprojekte zu verzögern oder zu reduzieren. Durch die aktive Steuerung können lokale Überlastungen vermieden und die Qualität der Stromversorgung verbessert werden. Für Anlagenbetreibende ergeben sich finanzielle Vorteile durch die Möglichkeit, von vergünstigten Netzentgelten zu profitieren oder an Flexibilitätsmärkten teilzunehmen [^3]. Dies schafft Anreize für die Investition in steuerbare Technologien und fördert die Akzeptanz der Energiewende.

Netzdienliche Steuerung und Engpassmanagement

Engpassmanagement ist ein zentrales Anwendungsfeld der netzdienlichen Steuerung. Netzengpässe treten auf, wenn die Übertragungskapazität von Leitungen oder Transformatoren aufgrund hoher Einspeisung oder Last in einem bestimmten Bereich überschritten wird. Dies kann zu unerwünschten Spannungsabweichungen, Überlastungen und im schlimmsten Fall zu einem Netzzusammenbruch führen. Traditionell werden Engpässe durch Redispatch-Maßnahmen und Einspeisemanagement behoben.

Engpassvermeidung und -behebung

Die netzdienliche Steuerung ermöglicht eine proaktive Engpassvermeidung. Durch die vorausschauende Anpassung von Verbrauch und Erzeugung können potenzielle Überlastungen bereits im Vorfeld abgemildert werden. Wenn beispielsweise in einem Netzabschnitt hohe Einspeisung von Windenergie erwartet wird, können angeschlossene steuerbare Verbraucher dazu angeregt werden, ihren Verbrauch zu erhöhen (z.B. durch das Laden von E-Autos) oder Wärmepumpen zu betreiben, um überschüssigen Strom direkt lokal zu nutzen und eine Überlastung der abführenden Leitungen zu verhindern. Umgekehrt kann bei drohender Überlastung der Verbrauch reduziert werden.

Im Falle bereits bestehender Engpässe kann die netzdienliche Steuerung als Ergänzung zu Redispatch-Maßnahmen eingesetzt werden. Während Redispatch die Leistungsflüsse durch die Änderung der Fahrweise von Großkraftwerken beeinflusst und Einspeisemanagement die Abregelung von Erzeugungsanlagen bedeutet, bietet die netzdienliche Steuerung eine feinere Granularität und die Möglichkeit, Flexibilität direkt im Verteilnetz zu aktivieren. Dies kann die Kosten für Engpassmanagement senken und die Effizienz des Systems steigern. Die dezentrale Natur vieler steuerbarer Verbrauchseinrichtungen macht sie besonders geeignet, lokale Engpässe zu adressieren, wo traditionelle Redispatch-Maßnahmen weniger wirksam sind.

Anreizsysteme und Netzentgelte

Die Implementierung einer effektiven netzdienlichen Steuerung erfordert nicht nur technische Lösungen, sondern auch adäquate ökonomische Anreize. Die Reform der deutschen Stromnetzentgeltsystematik spielt hier eine entscheidende Rolle.

Zeitvariable Netzentgelte

Ein Schlüsselkonzept zur Förderung netzdienlichen Verhaltens sind zeitvariable Netzentgelte [^5]. Diese Entgelte spiegeln die tatsächlichen Kosten der Netznutzung in Abhängigkeit von der Tageszeit, dem Wochentag oder sogar der aktuellen Netzauslastung wider. In Zeiten hoher Netzauslastung oder drohender Engpässe sind die Netzentgelte höher, während sie in Zeiten geringer Auslastung niedriger sein können. Dies sendet ein klares Preissignal an die Verbraucher und Erzeuger, ihren Strombezug oder ihre Einspeisung an die Netzsituation anzupassen.

Die Bundesnetzagentur hat im Rahmen von Diskussionen zur Zukunft der Stromnetzentgelte in Deutschland kritische Fragen zur zukünftigen Netzentgeltgestaltung aufgeworfen, um eine effiziente und gerechte Kostenverteilung zu gewährleisten [^4]. Ziel ist es, Anreize zu schaffen, die Investitionen in und die Nutzung von netzdienlichen Technologien fördern und gleichzeitig eine Überwälzung der Kosten der Energiewende auf alle Netznutzer gerecht verteilen. Die Einführung zeitvariabler Netzentgelte ist ein Schritt in diese Richtung, da sie es den Verbrauchern ermöglicht, durch ihr Verhalten aktiv zur Senkung der Netzkosten beizutragen und gleichzeitig von finanziellen Vorteilen zu profitieren.

Flexibilitätsmärkte

Neben den Netzentgelten gewinnen auch Flexibilitätsmärkte an Bedeutung. Auf diesen Märkten können Netzbetreiber die Flexibilität von steuerbaren Verbrauchern, Erzeugern und Speichern gezielt einkaufen, um Engpässe zu beheben oder Systemdienstleistungen bereitzustellen. Solche Märkte schaffen zusätzliche Einnahmemöglichkeiten für Betreiber flexibler Anlagen und integrieren die dezentralen Ressourcen effizient in das Gesamtsystem. Die Kopplung von Preissignalen aus den Netzentgelten mit den Möglichkeiten von Flexibilitätsmärkten schafft einen robusten Rahmen für die breite Etablierung netzdienlicher Steuerung.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Trotz des großen Potenzials der netzdienlichen Steuerung sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen.

Integration und Koordination

Die Integration einer Vielzahl heterogener steuerbarer Anlagen – von privaten Wärmepumpen und E-Autos bis hin zu industriellen Prozessen – erfordert standardisierte Schnittstellen, robuste Kommunikationsinfrastrukturen und intelligente Aggregationsmechanismen. Die Koordination dieser dezentralen Flexibilität mit den übergeordneten Netzbetriebsführungen der Übertragungsnetzbetreiber ist komplex und bedarf ausgefeilter Algorithmen und Prognosemodelle. (Siehe auch: [Kapitel X, "Intelligente Netze und digitale Infrastruktur"])

Datenschutz und Datensicherheit

Die Steuerung von Verbrauchseinrichtungen und die Erfassung von Verbrauchsdaten werfen Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit auf. Es muss sichergestellt werden, dass persönliche Verbrauchsdaten geschützt sind und die Steuerungssysteme vor Cyberangriffen sicher sind. Die Akzeptanz der Endkunden hängt maßgeblich davon ab, dass diese Bedenken ernst genommen und adressiert werden.

Marktdesign und Regulierung

Das aktuelle Marktdesign und die regulatorischen Rahmenbedingungen müssen weiterentwickelt werden, um die Potenziale der netzdienlichen Steuerung optimal zu nutzen. Dies betrifft die Ausgestaltung von Netzentgelten, die Entwicklung von Flexibilitätsmärkten und die klare Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen den verschiedenen Akteuren im Energiesystem. Die Bundesnetzagentur spielt hierbei eine zentrale Rolle bei der Gestaltung zukunftsfähiger Rahmenbedingungen [^5]. (Weitere Details unter: [Kapitel Y, "Regulatorische Rahmenbedingungen der Energiewende"])

Systemdienstleistungen

Zukünftig wird die netzdienliche Steuerung nicht nur zur Engpassbeseitigung, sondern auch zur Bereitstellung weiterer Systemdienstleistungen wie der Frequenzhaltung oder der Blindleistungskompensation beitragen müssen. Die Entwicklung von Technologien und Geschäftsmodellen, die es dezentralen Einheiten ermöglichen, diese Dienstleistungen zu erbringen, ist ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungsfeld.

Fazit

Die netzdienliche Steuerung ist ein unverzichtbarer Baustein für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende und die Sicherstellung der Netzstabilität in einem zunehmend dezentralen und von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem. Durch die aktive Integration und Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und anderen Flexibilitätsoptionen trägt sie maßgeblich zur Optimierung der Netzauslastung, zur Vermeidung und Behebung von Engpässen und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit bei. Die regulatorischen Anpassungen, insbesondere im Rahmen des § 14a EnWG und der Netzentgeltsystematik, schaffen wichtige Anreize für die breite Einführung dieser Technologien. Während noch Herausforderungen in Bezug auf technische Integration, Datenschutz und Marktdesign bestehen, ebnet die netzdienliche Steuerung den Weg für ein resilienteres, effizienteres und nachhaltigeres Energiesystem der Zukunft.

Quellenverzeichnis

[^1] Quelle 1: Neuregelung § 14a EnWG - steuerbare Verbrauchseinrichtungen Alle Informationen rund um die Neuregelung Die neue Ausgestaltung der § 14a-Regelung durch die Bundesnetzagentur dient dazu, die Netzstabilität auch in Zukunft sicherzustellen. Hier informieren wir darüber, was das für Sie und Ihren Netzans... [^2] Quelle 2: Neuregelung § 14a EnWG - steuerbare Verbrauchseinrichtungen Alle Informationen rund um die Neuregelung Die neue Ausgestaltung der § 14a-Regelung durch die Bundesnetzagentur dient dazu, die Netzstabilität auch in Zukunft sicherzustellen. Hier informieren wir darüber, was das für Sie und Ihren Netzans... [^3] Quelle 3: 1. Wissenswertes zu § 14a EnWG2. Vorteile der Neuerungen für Anlagenbetreibende3. Wissenswertes für InstallateurinnenImmer mehr Haushalte und Unternehmen setzen auf Solarstrom, um ihre Stromkosten dauerhaft zu senken. Doch je mehr Strom erzeugt wird, desto wichtiger wird ein stabiles und intelligent... [^4] Quelle 4: Reform der deutschen Stromnetzentgeltsystematik: Sollen Einspeiser Netzentgelte zahlen? 11 Juli 2025 Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat im Mai 2025 ein Diskussionspapier über die Zukunft der Stromnetzentgelte in Deutschland veröffentlicht.1 Das Papier stellt kritische Fragen zur zukünftigen Netzentg... [^5] Quelle 5: Magazin Energiewende Regulatorische Änderungen durch §14a EnWG und zeitvariable Netzentgelte: Was Netzbetreiber und Lieferanten jetzt wissen müssen Energiewende Gesetzesvorgaben Mit §14a EnWG und der Einführung zeitvariabler Netzentgelte entstehen für Netzbetreiber, Lieferanten und Messstellenbetrei... [^6] Quelle 6 [^7] Quelle 7 [^8] Quelle 8 [^9] Quelle 9 [^10] Quelle 10