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Saisonale Faktoren und ihre Berücksichtigung

Saisonale Faktoren und ihre Berücksichtigung

Die Gestaltung von Netzentgelten im Bereich der Gasfernleitung ist ein zentrales Element für die Effizienz, Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Energiesystems. Diese Entgelte decken die Kosten für den Transport von Erdgas durch die überregionalen Hochdruckleitungen und bilden einen wesentlichen Bestandteil der Gaspreise für Endverbraucher und Industrie. Die Regulierung dieser Entgelte obliegt der Bundesnetzagentur (BNetzA), deren Aufgabe es ist, eine diskriminierungsfreie und kostenorientierte Preisgestaltung sicherzustellen und gleichzeitig Anreize für einen effizienten Netzausbau und -betrieb zu setzen [^1], [^2]. Ein Aspekt, der in der Kalkulation und Festlegung dieser Entgelte von besonderer Bedeutung ist, sind die saisonalen Schwankungen im Gasverbrauch. Diese Schwankungen stellen Netzbetreiber vor erhebliche Herausforderungen hinsichtlich der Kapazitätsplanung, des Betriebs und der gerechten Kostenallokation. Die vorliegende Abhandlung beleuchtet die Notwendigkeit der Einbeziehung saisonaler Faktoren in die Berechnung der Gasfernleitungsentgelte und diskutiert verschiedene Ansätze zu deren Berücksichtigung im Rahmen der aktuellen und zukünftigen Regulierungsmechanismen.

Die Rolle der Gasfernleitungsentgelte im Energiesystem

Gasfernleitungsentgelte sind die Gebühren, die von den Netznutzern – in der Regel Gaslieferanten – für die Nutzung der Fernleitungsnetze entrichtet werden. Sie dienen der Deckung der Investitions- und Betriebskosten der Fernleitungsnetzbetreiber (FNBs). Diese Kosten umfassen den Bau, die Wartung und den Betrieb der Pipelines, Verdichterstationen und sonstigen Infrastruktur, die für den sicheren und zuverlässigen Gastransport erforderlich ist. Die Entgelte sind somit ein wesentlicher Preisfaktor entlang der gesamten Gaslieferkette und beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit von Gas als Energieträger. Eine transparente, faire und effiziente Entgeltgestaltung ist daher von entscheidender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Gasmarktes und die Versorgungssicherheit [^1]. Die Bundesnetzagentur legt im Rahmen sogenannter Festlegungsverfahren die Methodik für die Berechnung dieser Entgelte fest, um eine Monopolpreisbildung zu verhindern und die Effizienz der Netzbetreiber zu fördern [^3].

Saisonale Schwankungen im Gasverbrauch

Der Gasverbrauch in Deutschland unterliegt erheblichen saisonalen Schwankungen. Der primäre Treiber hierfür ist der Wärmebedarf, insbesondere für Heizung in privaten Haushalten und im Dienstleistungssektor. Während die Nachfrage in den Sommermonaten tendenziell geringer ist, steigt sie in den Wintermonaten – insbesondere bei kalten Temperaturen – drastisch an. Zusätzliche Faktoren wie die Gasverstromung zur Stromerzeugung, die ebenfalls wetterabhängig sein kann (z.B. bei geringer Wind- oder Solarstromerzeugung), sowie die Nachfrage der Industrie, die zwar weniger volatil, aber ebenfalls von Konjunktur und Produktionszyklen beeinflusst wird, tragen zur Gesamtvolatilität bei.

Diese saisonalen Spitzen im Verbrauch stellen die Fernleitungsnetzbetreiber vor die Aufgabe, Kapazitäten vorzuhalten, die nur wenige Monate im Jahr voll ausgelastet sind. Die Infrastruktur muss jedoch so dimensioniert sein, dass sie auch die höchsten denkbaren Lastspitzen zuverlässig bedienen kann. Dies führt zu einem erheblichen Anteil an Fixkosten, die unabhängig von der tatsächlichen Auslastung anfallen. Die Herausforderung besteht darin, diese Kosten fair und anreizkompatibel auf die Netznutzer umzulegen und gleichzeitig Signale für eine effiziente Nutzung und Speicherung von Gas zu setzen. Eine Nichtberücksichtigung saisonaler Effekte würde zu einer Subventionierung der Spitzenlastnutzer durch die Grundlastnutzer führen oder falsche Anreize für den Netzausbau setzen.

Herausforderungen bei der Berücksichtigung saisonaler Faktoren in der Entgeltkalkulation

Die Integration saisonaler Faktoren in die Berechnung der Gasfernleitungsentgelte ist mit mehreren komplexen Herausforderungen verbunden:

Kostenzuordnung und Kapazitätsplanung

Die Investitionskosten für Gasfernleitungsnetze sind maßgeblich durch die Notwendigkeit bestimmt, Spitzenlasten bedienen zu können. Eine Pipeline, die im Winter eine hohe Durchleitungskapazität benötigt, aber im Sommer nur geringfügig ausgelastet ist, generiert dennoch das ganze Jahr über Kapitalkosten. Die Frage der gerechten Kostenzuordnung ist hier entscheidend: Sollen die Kosten für die Bereitstellung dieser Spitzenkapazität primär den Nutzern angelastet werden, die diese Kapazität in Anspruch nehmen, oder sollen sie gleichmäßig über alle Netznutzer verteilt werden? Eine rein durchschnittliche Kostenumlage würde keine Anreize zur Vermeidung von Lastspitzen schaffen. Umgekehrt könnte eine zu starke Konzentration der Kosten auf Spitzenlastnutzer zu einer überproportionalen Belastung und damit zur Abwanderung oder Verlagerung von Verbrauch führen.

Anreizwirkung von Entgelten

Netzentgelte sollten nicht nur der Kostendeckung dienen, sondern auch Anreize für ein effizientes Verhalten der Marktteilnehmer setzen. Dies bedeutet, dass sie dazu beitragen sollten, die Netze effizienter auszulasten, Lastspitzen zu glätten und gegebenenfalls Investitionen in Speicherkapazitäten oder flexible Verbrauchsoptionen zu fördern. Wenn saisonale Faktoren nicht adäquat in den Entgelten reflektiert werden, können falsche Anreize entstehen. Beispielsweise könnten Netznutzer keine Veranlassung sehen, ihren Verbrauch in Spitzenlastzeiten zu reduzieren oder Gas aus Speichern zu entnehmen, wenn die Netznutzung zu diesen Zeiten nicht entsprechend teurer ist.

Regulatorische Rahmenbedingungen

Die Bundesnetzagentur ist durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und die Anreizregulierungsverordnung (ARegV) beauftragt, die Methodik der Netzentgeltfestlegung zu bestimmen. Die aktuellen und zukünftigen Regulierungsrahmen, wie sie in den Konsultationen zu den Festlegungsverfahren für den Regulierungsrahmen (z.B. „RAMEN Gas“ [^5]) und die Netzentgeltfestlegungen (z.B. „GasNEF“ [^5]) diskutiert werden, bieten die Möglichkeit, die Berücksichtigung saisonaler Faktoren zu präzisieren. Die Große Beschlusskammer Energie der Bundesnetzagentur ist hierbei federführend bei der Entwicklung von Methodenfestlegungen und periodenbezogenen Festlegungen [^4]. Die Herausforderung besteht darin, robuste und umsetzbare Methoden zu entwickeln, die sowohl den technischen Gegebenheiten des Gasnetzes als auch den wirtschaftlichen Realitäten des Marktes gerecht werden und gleichzeitig die regulatorischen Ziele der Versorgungssicherheit, Effizienz und Diskriminierungsfreiheit erfüllen.

Ansätze zur Integration saisonaler Faktoren in die Gasentgelte

Um den Herausforderungen der saisonalen Schwankungen zu begegnen, existieren verschiedene Ansätze zur Integration dieser Faktoren in die Gasfernleitungsentgelte:

Zeitvariable Entgelte (Peak-Load-Pricing)

Ein direkter Ansatz ist die Einführung von zeitvariablen Entgelten, die die Netznutzung in Zeiten hoher Nachfrage teurer gestalten als in Zeiten geringer Nachfrage. Dieses Prinzip, auch als Peak-Load-Pricing bekannt, zielt darauf ab, die Grenzkosten der Netznutzung in den jeweiligen Zeitfenstern widerzuspiegeln.

  • Vorteile: Setzt starke Anreize zur Lastverlagerung, zur Nutzung von Speichern oder zur Flexibilisierung des Verbrauchs, was zu einer besseren Auslastung der vorhandenen Infrastruktur und potenziell zu geringerem Netzausbaubedarf führen kann. Es sorgt für eine verursachergerechtere Verteilung der Kosten für die Bereitstellung von Spitzenkapazität.
  • Nachteile: Kann die Komplexität der Entgeltberechnung und -abrechnung erhöhen. Es besteht die Gefahr von Preisschocks für Verbraucher, die ihren Verbrauch nicht flexibilisieren können. Eine zu aggressive Preisgestaltung könnte auch zu unerwünschten Marktverzerrungen führen. Die Definition der "Peak"- und "Off-Peak"-Perioden ist ebenfalls eine regulatorische Herausforderung.

Kapazitätsbasierte Entgelte mit saisonaler Differenzierung

Dieser Ansatz konzentriert sich auf die Bepreisung der reservierten Transportkapazität und differenziert diese nach saisonalen Aspekten. Netznutzer reservieren Kapazitäten für einen bestimmten Zeitraum, und die Entgelte für diese Kapazitäten können je nach Saison variieren.

  • Beispiel: Höhere Entgelte für fest reservierte Kapazitäten in den Wintermonaten und niedrigere Entgelte in den Sommermonaten. Zusätzlich könnten unterbrechbare Kapazitäten angeboten werden, die in Spitzenlastzeiten abgeschaltet werden können und dafür geringere Entgelte aufweisen. Dies fördert die Nutzung flexibler Angebote und entlastet das Netz in kritischen Phasen.
  • Vorteile: Bietet Planungssicherheit für Netznutzer hinsichtlich ihrer Kosten, während es gleichzeitig die saisonalen Kostenunterschiede reflektiert. Es fördert die effiziente Allokation von Kapazitäten.
  • Nachteile: Die Festlegung der geeigneten Differenzierungsgrade und die Definition von "fest" und "unterbrechbar" erfordert eine sorgfältige Analyse und Abstimmung mit den Marktteilnehmern.

Berücksichtigung in der Kostenbasis und Effizienzvorhaben

Saisonale Faktoren können auch indirekt in der Regulierung berücksichtigt werden, indem sie in der Ermittlung der Kostenbasis der Netzbetreiber und in den Effizienzvorgaben der BNetzA Niederschlag finden.

  • Kostenbasis: Die Kapitalkosten für die Bereitstellung von Spitzenkapazität sind Teil der regulierten Vermögensbasis (Regulatory Asset Base, RAB). Die Regulierung kann festlegen, wie diese Kosten bewertet und in die jährlichen Erlösobergrenzen der Netzbetreiber einfließen. Dabei könnte eine differenzierte Betrachtung der Auslastung über das Jahr hinweg erfolgen.
  • Effizienz: Die BNetzA setzt Effizienzvorgaben für Netzbetreiber. Saisonale Schwankungen können die Betriebskosten beeinflussen (z.B. durch den variablen Betrieb von Verdichterstationen). Eine intelligente Regulierung muss sicherstellen, dass Effizienzanreize gesetzt werden, die auch unter Berücksichtigung saisonaler Anforderungen realisierbar sind und nicht zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit führen.

Die Rolle der Bundesnetzagentur und zukünftige Regulierungsrahmen

Die Bundesnetzagentur spielt eine entscheidende Rolle bei der Implementierung von Mechanismen zur Berücksichtigung saisonaler Faktoren. Sie ist für die Festlegung der Methodik der Netzentgeltbildung zuständig und gestaltet die Rahmenbedingungen für die Netzbetreiber. Die in den Quellen [^1], [^2], [^3], [^4], [^5] genannten Konsultationen zu den Festlegungsverfahren zum zukünftigen Regulierungsrahmen sind hierfür von zentraler Bedeutung.

Insbesondere die "Rahmenfestlegungen (Ebene 1)" und "Methodenfestlegungen (Ebene 2)" [^4] bieten die Möglichkeit, detaillierte Vorgaben zur Integration saisonaler Faktoren zu entwickeln. Im Rahmen von "RAMEN Gas" (Festlegung eines Regulierungsrahmens) und "GasNEF" (Festlegung der Netzentgelte für Gas) [^5] wird die BNetzA die Grundlagen schaffen, auf denen die Netzbetreiber ihre Entgelte kalkulieren müssen. Diese Verfahren ermöglichen es, neue Konzepte wie zeitvariable oder saisonal differenzierte Kapazitätsentgelte zu implementieren oder bestehende Ansätze zu verfeinern. Die "Eckpunktepapier zu Nachfolgeregelungen für ARegV" [^4] deutet ebenfalls auf eine Weiterentwicklung der Anreizregulierung hin, die möglicherweise mehr Flexibilität bei der Berücksichtigung spezifischer Kostenstrukturen – einschließlich saisonaler Spitzen – zulässt.

Die Konsultationen mit Marktteilnehmern, wie sie von der Bundesnetzagentur durchgeführt werden [^1], [^2], sind dabei unerlässlich. Sie ermöglichen es, die Praxistauglichkeit neuer Ansätze zu überprüfen, mögliche Auswirkungen auf verschiedene Marktsegmente zu evaluieren und einen Konsens über die gerechteste und effizienteste Lösung zu finden. Die Entscheidungen der Großen Beschlusskammer Energie [^4], [^5] werden die zukünftige Gestaltung der Gasfernleitungsentgelte maßgeblich prägen und somit auch die Art und Weise, wie saisonale Effekte in der Preisfindung berücksichtigt werden.

Ausblick und Implikationen

Die adäquate Berücksichtigung saisonaler Faktoren in der Berechnung der Gasfernleitungsentgelte ist von fundamentaler Bedeutung für die Gewährleistung eines effizienten, sicheren und fairen Gasmarktes. Sie trägt dazu bei, die hohen Fixkosten der Netzinfrastruktur verursachergerecht umzulegen, Anreize für eine effiziente Nutzung und Speicherung von Gas zu setzen und unnötigen Netzausbau zu vermeiden.

In einer sich wandelnden Energielandschaft, die durch Dekarbonisierungsbestrebungen, den Ausbau erneuerbarer Energien und die zunehmende Sektorkopplung gekennzeichnet ist, wird die Rolle des Gasnetzes und seiner Entgeltstrukturen noch komplexer. Die Integration von Wasserstoff in das Gasnetz und die damit verbundenen Umbauprozesse werden neue Herausforderungen mit sich bringen, bei denen die saisonale Dimension der Nutzung ebenfalls eine Rolle spielen wird. Zukünftige Regulierungsperioden müssen daher flexible und adaptive Entgeltmechanismen vorsehen, die in der Lage sind, auf diese Veränderungen zu reagieren und gleichzeitig die Stabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die fortlaufenden Prozesse der Bundesnetzagentur zur Weiterentwicklung der Regulierungsrahmen bieten hierfür die notwendige Plattform und die Möglichkeit, wegweisende Entscheidungen für die Zukunft der Gasfernleitungsentgelte zu treffen.

Quellenverzeichnis

[^1] Quelle 1: Kon­sul­ta­tio­nen zu Fest­le­gungs­ent­wür­fen zum zu­künf­ti­gen Re­gu­lie­rungs­rah­men so­wie zu den Strom- und Gas-Netzent­gelt­fest­le­gun­gen star­ten Ausgabejahr 2025 Erscheinungsdatum 18.06.2025. [^2] Quelle 2: Kon­sul­ta­tio­nen zu Fest­le­gungs­ent­wür­fen zum zu­künf­ti­gen Re­gu­lie­rungs­rah­men so­wie zu den Strom- und Gas-Netzent­gelt­fest­le­gun­gen star­ten Ausgabejahr 2025 Erscheinungsdatum 18.06.2025. [^3] Quelle 3: Ver­fah­rens­über­sicht Eigene und übertragene Verfahren der GBK Geplante Verfahren Eigene und übertragene Verfahren der GBK TitelÜber-tragungKammerGeschäftszeichenKurzbeschreibungDatum EntscheidungFestlegungsverfahren RAMEN StromNeinGBKGBK-25-01-11Festlegung eines Regulierungsrahmens und der Method... [^4] Quelle 4: Große Be­schluss­kam­mer Ener­gie Zwischenstand des NEST Prozesses zum Sommer 2025 Aktuelles Termine Rahmenfestlegungen (Ebene 1) Methodenfestlegungen (Ebene 2) Perioden- oder unternehmensbezogene Festlegungen (Ebene 3) Verfahrensübersicht Zeitplanung Eckpunktepapier zu Nachfolgeregelungen für ARegV... [^5] Quelle 5: Ak­tu­el­les Aktuelle Mitteilungen der Großen Beschlusskammer Energie zu Festlegungsverfahren 30. Oktober 2025Am 30.10.2025 hat die Bundesnetzagentur die Festlegungsentwürfe RAMEN Strom [GBK-25-01-11], RAMEN Gas [GBK-25-01-21], StromNEF [GBK-24-02-13] sowie GasNEF [GBK-24-02-23] an den Länderausschu...