Wenn unser starker Arm es will: Das Stromkollektiv
Gemeinsam zur erfolgreichen Energiewende: 100 % erneuerbare Energien bis 2040
100 % Strom aus erneuerbaren, nachhaltigen Quellen: Das, so sagte bereits 2016 eine Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin), muss unser Ziel für das Jahr 2040 sein. Die zunehmenden Extremwetterlagen auch in unseren Breiten und nicht zuletzt die aufgrund des Ukrainekriegs drastisch gestiegenen Preise fossiler Brennstoffe haben uns auf dem Weg zu diesem Ziel einen zusätzlichen Push verschafft. Doch wir müssen noch viele Herausforderungen überwinden – technisch, politisch, wirtschaftlich. Und das schaffen wir nur gemeinsam.
Unser Ziel: GrünstromIndex 100 – denn nachhaltig heißt regional
Der GrünstromIndex, daran sei hier kurz erinnert, zeigt an, wie hoch der Anteil des verfügbaren GrünStroms in einem bestimmten Postleitzahlengebiet ist. Idealerweise wäre er zu jeder Zeit in jedem Bezirk bei 100 – dem Maximalwert. Und natürlich könnten wir versuchen, das zu erreichen, indem wir die aktuellen fossilen Großkraftwerke durch ähnlich dimensionierte Anlagen für erneuerbare Energien ersetzen. Schon jetzt arbeitet man an Offshore-Windparks, denkt vermutlich auch bereits über gigantische Gezeitenkraftwerke nach. Und so mancher träumt davon, einfach die Sahara mit Solarzellen oder solarthermischen Kraftwerken zuzupflastern.
Allein: Das erfordert gigantische Transportwege, die – wenn überhaupt – bisher erst ansatzweise zur Verfügung stehen, einhergehend mit massiven Transportverlusten, die dann wieder ausgeglichen werden müssten. Zudem ignoriert solch ein Ansatz eine zentrale Stärke der erneuerbaren Energien: Sie lassen sich in relativ kleinen Einheiten bauen und entsprechend flexibel und verbrauchsnah einsetzen – das Windrad fürs Dorf, das mit Biobrennstoffen betriebene Blockheizkraftwerk für das Stadtviertel und nicht zuletzt die Solarzellen auf den Dächern von Gebäuden.
Entsprechend oft wird bereits in diese Stromerzeuger und die begleitende Technik (wie zum Beispiel Speicher) investiert. Doch die Einzelbetreiber solcher Erzeuger – seien es nun Unternehmen oder Eigenheimbesitzer – stehen dabei vor einem Problem, dass sich nicht so leicht lösen lässt: der Asynchronität von Erzeugung und Verbrauch.
Von (Dunkel-)Flauten und Jahreszeiten
Im ersten Teil dieser Artikelserie haben wir uns das Dilemma anhand eines Eigenheimbesitzers angesehen, der zwar nominell (und eigentlich auch tatsächlich) mehr Strom produziert als er verbraucht – nur eben nicht dann, wenn er ihn braucht. Dazu haben wir einen Blick auf die Erzeugungs-/Verbrauchsbilanz geworfen – aufgeschlüsselt nach den 35.040 Viertelstunden des Jahres. Warum gerade im Viertelstundentakt? Weil das deutsche Stromnetz so abrechnet.
Wie sein Jahresprofil zeigt, produziert unser Eigenheimbesitzer im Sommer zu viel Elektrizität (und muss sie billig ins Netz einspeisen), im Winter hingegen braucht er mehr, als seine Solarzellen liefern. Kann er einen Ausgleich schaffen? Und wenn ja: Wie? Das erfordert zunächst einmal eine eingehende Analyse.
Erster Schritt: Analyse, Modell, Prognose
Ihr habt euch vielleicht schon gefragt, woher die Abbildungen aus dieser und der letzten Folge unserer Artikelserie stammen: Es handelt sich dabei um Daten aus dem Haushalt eines unserer Mitarbeiter. Generiert wurden sie von einem Tool, dass STROMDAO gerade für den Einsatz in unserer Arbeit als Energieserviceanbieter (ESA) entwickelt. Es erlaubt, die jeweilige Energieversorgung zu modellieren und anhand von historischen bzw. Erfahrungsdaten sowie technischen Spezifikationen den Output zu simulieren – zum Beispiel das oben stehende Jahresprofil. Die aktuelle Energieversorgung unseres Mitarbeiters lässt sich in diesem Tool so modellieren und visualisieren:
Wir sehen also den Energiefluss aufgeschlüsselt nach Erzeugung, Verbrauch, Flexibilisierungsmittel (wie Speicher) und Netzanschluss. Wir können nun den Betrieb simulieren und auf Basis von Spezifikationen, historischen Daten und Erfahrungswerten (z. B. Sonnenstunden) ein Jahresprofil errechnen. Das Ergebnis seht ihr weiter oben. Idealerweise würde man natürlich mit der Modellierung anfangen, bevor man die Anlage baut. Dennoch können wir auch auf Basis der Bestandsanlage die Effizienz weiterer Maßnahmen bewerten.
Zweiter Schritt: Simulation und Planung
Unser Tool erlaubt es, per Drag&Drop schnell neue Komponenten hinzuzufügen bzw. die bestehenden zu modifizieren – natürlich (und leider) erst einmal nur im Modell. Daraus lassen sich weitere Jahresprofile berechnen: Bringt vielleicht ein kleines Windkraftwerk etwas? Gerade im Winter weht doch oft der Wind. Oder muss der Speicher größer sein? Lohnt es sich vielleicht, in noch mehr Solarzellen zu investieren?
All das lässt sich nun im Modell erproben und ein etwaiger Ausbau entsprechend planen – noch bevor man viel Geld in die Hand nimmt.
Wir ihr seht, lässt sich das Wintertal so zumindest etwas ausgleichen. Allein: Wirklich autonom zu werden, geht massiv ins Geld: Oft sagt man ja, dass die letzten 20 Prozent eines Projektes 80 Prozent der Ressourcen verschlingen. Beim Aufbau eines möglichst autarken Systems zur Versorgung mit erneuerbarer Energie ist es ähnlich. Heute ist eine 80-prozentige Versorgung problemlos möglich. Danach steigen die Kosten exponentiell an – wenn man das System überhaupt in den Griff kriegt. Grund dafür ist wiederum das Phänomen der Dunkel- oder Winterflaute. Wir müssten unser System so auslegen, dass es verlässlich stets genug Strom liefert. Das heißt aber im Gegenzug, dass es bei Sonnenschein und gutem Wind massiven Überschuss produziert, der ja auch irgendwo hinmuss. Und irgendwann sind auch die größten Speicher voll. Das heißt, der Strom muss nach draußen, vorzugsweise ins Stromnetz: Auch das ist natürlich keine Autarkie – kein „Leinen los, wir sind jetzt völlig unabhängig“.
Alleine autonom werden zu wollen, ist also praktisch illusorisch. Doch was wäre, wenn man sich mit Partnern zusammentut, die komplementäre Profile haben – die also zum Beispiel im Sommer Strom brauchen und im Winter Energie im Überschuss produzieren?
Geschäft auf Gegenseitigkeit: Zwei sind schon ein Kollektiv
In einer Präsentation zum Thema Cloud Computing nutzte der Vortragende einmal das schöne Beispiel vom Weihnachtsmann und Osterhasen. Stellen wir uns vor, so der Redner, beide wären real und hätten entsprechende Fertigungen zu beaufsichtigen: Die Produktionssaison des Osterhasen beginnt zu Neujahr, läuft durch die ganze Fastenzeit bis hin zum Osterfest. Umgedreht kann der Weihnachtsmann in dieser Zeit die Wichtel in Urlaub schicken und die Produktion dann in der Woche nach dem Weißen Sonntag wieder aufnehmen. Beide Zeiträume überlappen sich nicht. Es wäre also kein Problem, dass beide eine gemeinsame Infrastruktur nutzen.
Dieses Modell ließe sich nun auch auf die Energieversorgung übertragen. So könnte etwa ein Obst- und Gemüsebauer, der auf Solarzellen setzt und somit im Sommer Stromüberschuss produziert, aber im Winter die Ernte sowie seine Setzlinge kühlen muss, mit einer Ferienanlage kooperieren, die mit Wind versorgt wird: Im Sommer herrscht dort Halligalli, der Stromverbrauch ist hoch, doch im Winter macht die Anlage dicht, benötigt dann nur noch eine kleine Grundversorgung – der Wind weht jedoch weiter und produziert genau den Überschuss, den der Obstbauer benötigt.
Jetzt bräuchte es nur noch ein entsprechendes Match-Making – und etwaig weiterhin bestehende Löcher sollten sich jetzt schon sehr viel einfacher stopfen lassen. Zumindest aber müssten beide Betriebe gemeinsam weniger zukaufen.
Gerade auf Unternehmensebene bleibt solch ein Modell – wir nennen es Stromkollektiv – nicht auf zwei Player beschränkt: So könnten sich zum Beispiel die in einem Gewerbegebiet ansässigen Betriebe zusammenschließen. Mehr Partner machen die Sache unter Umständen sogar einfacher, denn umso mehr Auf- und Ab-Bewegungen im Verbrauch und in der Erzeugung gibt es. Man kann sich das wie in einem Orchester vorstellen:
Eine Geige klingt wunderschön (wenn sie denn gut gespielt wird), es fehlt jedoch möglicherweise an Fülle für den Konzertsaal. Nimmt man eine zweite Geige hinzu und verdoppelt so die Stimme, verdoppelt sich dabei nicht die Lautstärke. Keine zwei Geigen lassen sich unisono so spielen, dass die Klangwellen exakt identisch sind und sich genau addieren – selbst, wenn sie von Robotern gespielt werden. Es entstehen Interferenzen – weshalb zwei unisono spielende Geigen auch schnell schepp klingen. Kommt eine dritte Geige hinzu, werden die Interferenzen wieder ausgeglichen, der Klang wird harmonischer. Und mit einer vierten, fünften, sechsten Geige … Nun, jeder der schon mal in einem Sinfoniekonzert war, weiß, wie rund und harmonisch solch ein Streichkörper klingen kann.
Das hört sich alles eigenwillig an und vielleicht etwas abstrakt? Das macht doch keiner? Nun, genau das Gegenteil ist der Fall. STROMDAO agiert seit 2022 auch als Energieserviceanbieter – und es sind aktuell genau solche Kooperationen, die an uns zur Beratung herangetragen werden. Im nächsten Teil dieser Artikelserie stellen wir euch ein reales Beispiel vor.
Das Stromkollektiv und die privaten Haushalte
Doch funktioniert das auch im privaten Haushalt? Mit nur zwei Teilnehmern können sich zwar erste Einsparungen und Synergien ergeben, doch sicher ist das nicht, zumal diese Haushalte wohl in der Nachbarschaft liegen würden: Das Leben innerhalb von Nachbarschaften ist in der Regel recht homogen, die Lebens- und Tageszyklen laufen einigermaßen synchron. Aber auch hier gilt: Je mehr Player hinzukommen, desto mehr Möglichkeiten bieten sich, speziell, wenn man nur autonomer werden will – aber nicht ganz autonom: Die Dorfsiedlung, die ein gemeinsames Windrad aufstellt, das Stadtviertel, das ein Blockheizkraftwerk errichtet und betreibt – all diese Ansätze existieren schon heute. Der Grundgedanke dahinter stammt sogar schon aus den Anfängen des Stromnetzes – aus den Zeiten der guten, alten Stadtwerke, als diese noch die Stromerzeugung selbst in vollem Umfang übernahmen.
Der Unterschied ist jedoch, dass heutige Stromkollektive nicht mehr um einen zentralen Punkt ausgerichtet sind – das lokale Kraftwerk. Stattdessen bilden sie mit einer Vielheit der Erzeuger ein dezentrales, jedoch regionales Netzwerk. Und diesen Netzwerken gehört die Zukunft, wenn wir den kontinuierlichen GrünStromIndex 100 erreichen wollen – denn GrünStrom ist, praktisch per definitionem – regional.
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