Vorgelagerte Netzentgelte und Versorgungsleistungen
Vorgelagerte Netzentgelte und Versorgungsleistungen
1. Einleitung: Die Neuausrichtung der Kostenanerkennung im NEST-Prozess
Das Jahr 2025 markiert einen entscheidenden Wendepunkt für die deutsche Energiewirtschaft, insbesondere im Kontext des von der Bundesnetzagentur (BNetzA) initiierten NEST-Prozesses (Neue Entgeltstruktur für Strom & Gas). Dieser Prozess zielt auf eine fundamentale Neuausrichtung der Anreizregulierung (RAMEN) und der Netzentgeltfestlegung (StromNEF/GasNEF) ab, um die Integration Erneuerbarer Energien, die Digitalisierung der Netze und eine verursachungsgerechtere Kostenverteilung zu ermöglichen [^1]. Im Zentrum der methodischen Überarbeitung der Anreizregulierung steht die Präzisierung des Katalogs der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten, die künftig als KAnEu (Kosten, die nicht in den Effizienzvergleich einbezogen werden) bezeichnet werden.
Die BNetzA hat im Rahmen ihrer Konsultationen im Juni 2025 angekündigt, die Anerkennung von vorgelagerten Netzentgelten und Kosten für Versorgungsleistungen als KAnEu zu erweitern [^2]. Diese Maßnahme ist von erheblicher Bedeutung für die finanzielle Stabilität und Planbarkeit der Netzbetreiber sowie für die Weiterentwicklung der Energiewendeinfrastruktur. Die Entscheidung zur Ausweitung des KAnEu-Katalogs spiegelt das Bestreben wider, ein attraktives Investitionsumfeld zu schaffen und gleichzeitig unnötige Zusatzbelastungen für Netzbetreiber zu vermeiden, die aus Kostenpositionen resultieren, auf die sie keinen direkten Einfluss haben.
2. Das Konzept der KAnEu in der Anreizregulierung
Die deutsche Anreizregulierung, wie sie durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und die Anreizregulierungsverordnung (ARegV) etabliert wurde, zielt darauf ab, Netzbetreiber zu Effizienzsteigerungen anzuhalten. Dies geschieht primär durch die Festlegung von Erlösobergrenzen, die einen Anreiz bieten sollen, die Betriebskosten (OPEX) zu optimieren. Ein Kerninstrument hierbei ist der Effizienzvergleich, bei dem die Kosten verschiedener Netzbetreiber miteinander verglichen werden, um Effizienzpotenziale zu identifizieren und einen Effizienzdruck zu erzeugen.
Innerhalb dieses Systems spielen die KAnEu eine besondere Rolle. Sie repräsentieren Kostenkategorien, die ein Netzbetreiber nicht oder nur in sehr geringem Maße beeinflussen kann. Würden diese Kosten in den Effizienzvergleich einbezogen, könnten sie die Ergebnisse verzerren und Netzbetreiber für externe Faktoren bestrafen, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. Dies würde nicht nur die Fairness der Regulierung untergraben, sondern auch Investitionen in notwendige Infrastruktur behindern und die Versorgungssicherheit gefährden. Daher werden KAnEu aus dem Effizienzvergleich herausgenommen und in voller Höhe in der Erlösobergrenze des Netzbetreibers berücksichtigt. Dies gewährleistet, dass Netzbetreiber für notwendige, aber externe Kosten adäquat kompensiert werden, ohne ihre Anreize zur Effizienzsteigerung in beeinflussbaren Bereichen zu untergraben.
Mit den Festlegungsentwürfen zu RAMEN Strom und RAMEN Gas im Jahr 2025 wird der Katalog der KAnEu neu begründet und präzisiert [^2]. Diese Neudefinition ist nicht nur eine technische Anpassung, sondern eine strategische Weichenstellung, um den spezifischen Herausforderungen der Energiewende Rechnung zu tragen. Die Anerkennung weiterer Kosten als KAnEu soll die Investitionsfähigkeit und -bereitschaft der Netzbetreiber stärken, insbesondere angesichts des massiven Ausbaubedarfs der Netzinfrastruktur für die Aufnahme dezentraler Erneuerbarer Energien und die Sektorenkopplung. Für eine detailliertere Betrachtung des KAnEu-Katalogs, siehe auch die Seite "KAnEu: Anerkennung dauerhaft nicht beeinflussbarer Kosten".
3. Anerkennung vorgelagerter Netzentgelte als KAnEu
Vorgelagerte Netzentgelte sind jene Kosten, die ein nachgelagerter Netzbetreiber (typischerweise ein Verteilernetzbetreiber, VNB) an einen übergeordneten Netzbetreiber (z.B. einen Übertragungsnetzbetreiber, ÜNB, oder einen höherrangigen VNB) für die Nutzung dessen Netzes entrichten muss. Diese Entgelte sind eine unvermeidbare Folge der physikalischen Stromflüsse im hierarchisch strukturierten deutschen Stromnetz und des Prinzips der Durchleitung. Verteilernetzbetreiber speisen ihren Strom aus dem Übertragungsnetz ein oder leiten ihn dorthin ab und müssen dafür die entsprechenden Netzentgelte der vorgelagerten Ebenen tragen.
Die Notwendigkeit der Anerkennung vorgelagerter Netzentgelte als KAnEu ergibt sich aus ihrer intrinsischen Unbeeinflussbarkeit durch den nachgelagerten Netzbetreiber. Die Höhe dieser Entgelte wird nicht vom nachgelagerten Netzbetreiber bestimmt, sondern von den jeweiligen vorgelagerten Netzbetreibern und deren regulatorisch genehmigten Erlösobergrenzen. Diese Kosten werden durch die BNetzA auf der vorgelagerten Netzebene reguliert und sind für den nachgelagerten Netzbetreiber eine fixe Vorgabe. Er hat kaum Möglichkeiten, die Struktur oder das Niveau dieser Kosten aktiv zu gestalten oder durch eigene Effizienzanstrengungen zu senken. Der nachgelagerte Netzbetreiber hat in der Regel keine vertragliche Verhandlungsmacht über die Höhe der Entgelte, die er zahlen muss, da er auf die Nutzung des vorgelagerten Netzes angewiesen ist.
Die Anerkennung als KAnEu stellt somit sicher, dass diese unvermeidbaren Kosten vollständig in der Erlösobergrenze des nachgelagerten Netzbetreibers berücksichtigt werden und nicht zu einer fiktiven Effizienzlücke führen, die zu Lasten des Netzbetreibers ginge. Dies schafft Kalkulationssicherheit und vermeidet eine doppelte Belastung, da diese Kosten bereits auf der vorgelagerten Ebene einer Effizienzprüfung unterliegen. In einem sich wandelnden Energiesystem, in dem die Netzbelastungen und -flüsse durch dezentrale Einspeisung und volatile Erzeugung zunehmen, können sich auch die vorgelagerten Netzentgelte dynamisch entwickeln. Ihre Anerkennung als KAnEu ist daher ein entscheidender Faktor für die finanzielle Robustheit der Verteilernetzbetreiber und ihre Fähigkeit, die notwendigen Investitionen in die Modernisierung und den Ausbau ihrer Netze zu tätigen, ohne durch unkontrollierbare Kostenpositionen benachteiligt zu werden.
4. Anerkennung von Kosten für Versorgungsleistungen als KAnEu
Der Begriff der Versorgungsleistungen umfasst eine Reihe von Dienstleistungen, die für den sicheren, zuverlässigen und effizienten Betrieb der Strom- und Gasnetze unerlässlich sind. Deren Beschaffung und Kosten sind jedoch ebenfalls nur begrenzt von den einzelnen Netzbetreibern beeinflussbar. Hierzu zählen beispielsweise Kosten für bestimmte Systemdienstleistungen (wie Frequenzhaltung, Spannungshaltung, Blindleistungsbereitstellung), die von ÜNBs erbracht werden, oder auch Kosten für das Bilanzkreismanagement. Darüber hinaus können auch spezifische IT-Dienstleistungen, die zur Einhaltung regulatorischer Vorgaben, zur Gewährleistung der Netzsicherheit oder zur Abwicklung des Messwesens notwendig sind, unter diesen Begriff fallen. Oftmals sind diese Leistungen zentralisiert organisiert, unterliegen komplexen Marktmechanismen oder sind durch regulatorische Mandate vorgegeben, sodass der individuelle Netzbetreiber wenig Spielraum zur Kostenoptimierung hat.
Die Entscheidung der BNetzA, Kosten für Versorgungsleistungen als KAnEu anzuerkennen, reflektiert die Erkenntnis, dass Netzbetreiber bei der Beschaffung dieser Leistungen oft an vorgegebene Strukturen und Prozesse gebunden sind. Insbesondere im Zuge der zunehmenden Komplexität des Energiesystems durch die Integration volatiler Erneuerbarer Energien und die Notwendigkeit flexiblerer Systemdienstleistungen steigen die Anforderungen an die Versorgungsleistungen und damit tendenziell auch deren Kosten. Die Anerkennung als KAnEu entlastet die Netzbetreiber von einem Effizienzdruck in Bereichen, in denen sie kaum Einfluss nehmen können, und ermöglicht gleichzeitig die notwendige Beschaffung dieser systemkritischen Leistungen.
Eine wichtige Neuerung in diesem Zusammenhang ist das Entfallen des Stichtags für Versorgungsleistungen [^2]. In der Vergangenheit mussten Versorgungsleistungen, um als KAnEu anerkannt zu werden, oft zu einem bestimmten Stichtag nachgewiesen werden. Dies konnte zu einer starren und unter Umständen nicht mehr aktuellen Kostenbasis führen, insbesondere wenn sich die Anforderungen an Versorgungsleistungen oder deren Marktpreise im Laufe einer Regulierungsperiode änderten. Das Entfallen dieses Stichtags zugunsten der Netzbetreiber bedeutet eine erhebliche Flexibilisierung und Vereinfachung. Es ermöglicht eine dynamischere und realitätsnähere Berücksichtigung von Versorgungsleistungskosten, die sich im Jahresverlauf oder über die Regulierungsperiode hinweg ändern können. Dies ist besonders relevant in einem sich schnell entwickelnden Energiesystem, in dem neue oder angepasste Versorgungsleistungen ad hoc erforderlich werden können, beispielsweise durch unvorhergesehene Netzengpässe oder die Notwendigkeit neuer digitaler Infrastrukt
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