KI-Nutzung in der Energiewirtschaft
Wie intelligente Assistenten das Wissensdefizit überbrücken
Die Herausforderung:
Fachkräftemangel trifft auf komplexe Regulierung
Die deutsche Energiewirtschaft steht vor einer paradoxen Situation: Während die Energiewende an Fahrt aufnimmt und regulatorische Anforderungen zunehmen, verlassen erfahrene Fachkräfte zunehmend den Arbeitsmarkt. Der demografische Wandel führt dazu, dass Jahrzehnte an Prozess- und Regulierungswissen aus den Unternehmen ausscheidet – schneller als neue Mitarbeiter eingearbeitet werden können.
Besonders kritisch wird es bei spezialisierten Themen wie der Marktkommunikation nach GPKE und WiM, bei EDIFACT-Nachrichten oder bei der Umsetzung von Regelungen wie §14a EnWG. Dieses Wissen ist nicht einfach aus Lehrbüchern zu erlernen, sondern basiert auf jahrelanger Praxis und der Kenntnis unzähliger BDEW-Dokumente, BNetzA-Festlegungen und technischer Anwendungsfälle.
KI als Wissensbrücke:
Mehr als nur ChatGPT
Während allgemeine KI-Modelle wie ChatGPT oder Claude beeindruckende Fähigkeiten zeigen, stoßen sie bei hochspezialisierten Fragestellungen der Energiewirtschaft an ihre Grenzen. Die Lösung liegt in sogenannten Retrieval Augmented Generation (RAG) Systemen, die auf Vector Stores basieren. Diese Systeme kombinieren die Sprachfähigkeiten großer KI-Modelle mit einer umfangreichen, branchenspezifischen Wissensdatenbank.
Der Vorteil: Die KI "erfindet" keine Antworten, sondern greift auf verifizierte Dokumente, Regelwerke und Best Practices zurück. Dieses sogenannte Grounding stellt sicher, dass die Antworten auf dem aktuellen regulatorischen Stand basieren und für den Kontext der deutschen Energiewirtschaft relevant sind.
Drei Lösungen im Vergleich
In Deutschland haben sich mittlerweile drei KI-basierte Wissenssysteme speziell für die Energiewirtschaft etabliert. Jedes mit eigenem Fokus und unterschiedlicher Zielgruppe:
1. Stromhaltig / Willi Mako – Der Marktkommunikations-Spezialist
Website: stromhaltig.de/app
Stromhaltig ist aus einem Open-Source-Projekt entstanden und hat sich zum umfassenden Werkzeugkasten für die tägliche Arbeit in der Marktkommunikation entwickelt. Die Plattform bietet zahlreiche Tools, die speziell auf den Arbeitsalltag von Energiemarkt-Experten zugeschnitten sind.
Besonderheiten:
- Fokus auf operative Marktkommunikation (EDIFACT, UTILMD, GPKE, WiM)
- Umfangreiche Tool-Suite für den täglichen Einsatz
- Schnelle Antwortzeiten (bis 2 Minuten)
- Basiert auf Google Gemini als KI-Modell
- Open-Source-Wurzeln fördern Transparenz
Zielgruppe: Sachbearbeiter und Fachexperten in der Marktkommunikation, die praktische Unterstützung bei der täglichen Arbeit mit Marktprozessen und EDIFACT-Nachrichten benötigen.
Preismodell: Ca. 200 € pro Monat und Nutzer
2. Kinergia – Der Strategie-Berater
Website: kinergia.de
Kinergia positioniert sich als "Strategische KI für die Energiewirtschaft" und richtet sich an Entscheider und Führungskräfte. Das System ist darauf ausgelegt, strategisches Wissen zu liefern, das normalerweise von teuren Business-Consulting-Firmen bereitgestellt wird.
Besonderheiten:
- Fokus auf strategische Entscheidungen und Wissensmanagement
- Ausrichtung auf Stadtwerke und deren Herausforderungen
- Intensive Recherche mit längeren Antwortzeiten (bis 8 Minuten)
- Basiert auf Mistral AI
- Tiefgreifende Analysen und fundierte Empfehlungen
Zielgruppe: Geschäftsführer, Abteilungsleiter und strategische Entscheider in Stadtwerken, die komplexe Fragestellungen durchdringen und fundierte Entscheidungen treffen müssen.
Preismodell: Ca. 600 € pro Monat (individuelle Preisgestaltung für Bestandskunden möglich)
3. Enerchy – Der Einsteigerfreundliche
Website: enerchy.de
Als jüngste Lösung am Markt setzt Enerchy auf Einfachheit und niedrige Einstiegshürden. Das System eignet sich besonders für erste Gehversuche mit KI-gestütztem Wissensmanagement in der Energiewirtschaft.
Besonderheiten:
- Besonders einfache Bedienung
- Niedriger Einstiegspreis ermöglicht risikofreies Testen
- Kombiniert Mistral AI mit OLLAMA (Open-Source-Modell)
- Flexible, nutzungsbasierte Abrechnung
Zielgruppe: Kleinere Teams und Einsteiger, die mit überschaubarem Budget KI-Unterstützung testen möchten, sowie Nutzer mit sporadischem Bedarf.
Preismodell: 5 kostenlose Chat-Sessions, Erweiterung um je 10 Chats für 49 €
Der direkte Vergleich
| Kriterium | Stromhaltig / Willi Mako | Kinergia | Enerchy |
|---|---|---|---|
| Hauptfokus | Operative Marktkommunikation | Strategisches Wissensmanagement | Einfacher Einstieg |
| Zielgruppe | Sachbearbeiter, Fachexperten | Führungskräfte, Entscheider | Einsteiger, kleine Teams |
| KI-Modell | Google Gemini | Mistral AI | Mistral AI + OLLAMA |
| Antwortzeit | Bis 2 Minuten | Bis 8 Minuten | Variabel |
| Preis | ~200 €/Monat/Nutzer | ~600 €/Monat | 5 Chats gratis, dann 49 €/10 Chats |
| Besonderheit | Open-Source-Wurzeln, umfangreiche Tool-Suite | Business-Consulting-Qualität | Niedrige Einstiegshürde |
| Ideal für | EDIFACT, GPKE, tägliche Marktkommunikation | Strategieentwicklung, Management-Entscheidungen | Gelegentliche Nutzung, Budget-bewusste Anwender |
Die gemeinsame Basis:
Vector Stores und Grounding
Ein entscheidender Punkt verbindet alle drei Systeme: Sie sind keine eigenständigen KI-Modelle, sondern nutzen etablierte Large Language Models (LLMs) und reichern diese mit branchenspezifischem Wissen an. Dies geschieht über Vector Stores – spezialisierte Datenbanken, die Dokumente in mathematische Repräsentationen (Embeddings) umwandeln und so semantisch verwandte Inhalte schnell auffinden können.
Der Ablauf:
- Eine Frage wird gestellt
- Das System sucht relevante Dokumente im Vector Store
- Diese Dokumente werden dem KI-Modell als Kontext bereitgestellt
- Das Modell generiert eine Antwort basierend auf diesem spezifischen Wissen
Dieser Ansatz hat einen Nachteil: Die Antwortzeiten verlängern sich. Während ein unkontextualisiertes KI-Modell in Sekunden antwortet, benötigen diese Systeme zwischen 2 und 8 Minuten. Der entscheidende Vorteil überwiegt jedoch: Das Grounding – die Verankerung der Antwort in verifizierten Quellen – minimiert das Risiko von Halluzinationen und stellt sicher, dass die Informationen auf aktuellen Regelwerken basieren.
Fazit:
KI als Wissenserhalt-Strategie
Der Fachkräftemangel in der Energiewirtschaft lässt sich nicht von heute auf morgen lösen. KI-gestützte Wissenssysteme bieten jedoch eine pragmatische Brücke: Sie konservieren regulatorisches und prozessuales Wissen, machen es durchsuchbar und stellen es in verständlicher Form bereit – unabhängig davon, ob ein Senior-Experte verfügbar ist oder nicht.
Die Wahl des richtigen Systems hängt von den individuellen Anforderungen ab:
- Wer im operativen Tagesgeschäft der Marktkommunikation arbeitet, findet in Stromhaltig / Willi Mako einen umfassenden Werkzeugkasten.
- Führungskräfte, die strategische Entscheidungen treffen müssen, profitieren von der Tiefe und Beratungsqualität von Kinergia.
- Teams mit kleinerem Budget oder sporadischem Bedarf können mit Enerchy kostengünstig erste Erfahrungen sammeln.
Allen drei Systemen gemeinsam ist der Ansatz, nicht einfach generische KI-Antworten zu liefern, sondern durch Grounding in branchenspezifischen Dokumenten die Qualität und Verlässlichkeit sicherzustellen. In Zeiten, in denen regulatorisches Wissen zur Mangelware wird, kann diese Technologie den Unterschied zwischen Überlastung und effizienter Bewältigung der Energiewende bedeuten.
No Comments